April 13, 2022

Bauernrechte

Melik Özden

Ein rechtlicher und politischer Hebel, um die Macht der transnationalen Konzerne anzugreifen


Landwirtschaft und ganz allgemein die Nahrungsmittelproduktion sind die ersten Tätigkeiten der Menschen zu Beginn ihrer Sesshaftigkeit. Unter dem Vorwand, die Menschheit zu ernähren, wurde diese Tätigkeit ab dem 19. Jahrhundert industrialisiert (Mechanisierung, „grüne Revolution“, intensiver Einsatz von Chemikalien und Digitalisierung), was zunächst eine Steigerung der Produktion ermöglichte. Diese Industrialisierung ist nicht nur an ihrem Anspruch gescheitert, die Weltbevölkerung zu ernähren, sondern hat auch negative Auswirkungen sowohl auf die Umwelt, die Gesellschaft und die Gesundheit, als auch auf die Wirtschaft und die Kultur. Der Sektor wird heute von transnationalen Konzernen (TNK) der Agrar- und Ernährungswirtschaft beherrscht, die sich ausschließlich an der Maximierung des Profits in kürzester Zeit orientieren.

Diese Produktionsweise, die durch staatliche Subventionen und einen günstigen Rechtsrahmen unterstützt wird, hat in wenigen Jahrzehnten die Kontrolle der TNK über den Agrar- und Ernährungssektor verstärkt. Die Einflussnahme erfolgt über die Agrar- und Ernährungspolitik insbesondere der Europäischen Union und der USA, die starken Druck auf die Bauern weltweit ausüben. Gleichzeitig haben die meisten Staaten, die häufig Strukturanpassungsprogrammen unterliegen und vom Ausschluss vom Weltmarkt bedroht sind, nicht nur die staatliche Unterstützung für bäuerliche Familienbetriebe gekürzt oder gestrichen, sondern auch jegliche Regulierung des Lebensmittelmarktes (Preiskontrollen, Zölle usw.) aufgegeben, wodurch das Monopol der TNK in der Lebensmittelkette gestärkt wurde.

Diese dominante Agrar- und Ernährungspolitik hat unter anderem zur Folge, dass die ländliche Bevölkerung nicht mehr von ihrer Arbeit leben kann. Sie hat keine Kontrolle über den Produktionsprozess und die Vermarktung ihrer Produkte und Dutzende Millionen Bauern und andere Landarbeiter sehen sich gezwungen, jedes Jahr die landwirtschaftlichen Gebiete zu verlassen, um sich in städtische Elendsviertel zu pferchen und/oder ihr Land zu verlassen, um als Wanderarbeiter zu überleben. Weitere besorgniserregende Aspekte dieser Politik sind die Zunahme von Hunger und Unterernährung in den Bevölkerungsschichten, der Rückgang der Lebensmittelqualität, der Rückgang der biologischen Vielfalt, die Entvölkerung und das Verschwinden des Ackerlandes, die großflächige Landenteignung, die Börsenspekulationen mit Nahrungsmitteln, etc.

Die Rechte der Bauern und Bäuerinnen

Angesichts dieser unhaltbaren Situation und der Existenzbedrohung der Bauernschaft selbst initiierte La Vía Campesina, die Dachorganisation der Bauern und Bäuerinnen, den Kampf für die Verteidigung und Anerkennung der Bauernrechte. Mit Erfolg. Nach einem langen Prozess verabschiedete die UN-Generalversammlung schließlich 2018 mit großer Mehrheit die Erklärung über die Rechte der Bauern und anderer Menschen, die in ländlichen Gebieten arbeiten[1]. Worum handelt es sich?

Die Erklärung, die aus 28 Artikeln besteht und innovative Rechte (Recht auf Land, Saatgut, Produktionsmittel usw.) enthält, verankert im Rahmen internationaler Menschenrechtsstandards die Rechte der Familienbauernschaft und anderer Menschen, die in ländlichen Gebieten arbeiten. Sie soll inklusiv sein, da sie neben der Familienbauernschaft auch für Fischer, Nomaden, ländliche indigene Völker und LandarbeiterInnen gilt. Sie umfasst auch bürgerliche, politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte aus der Perspektive der Bauern und Bäuerinnen und Verpflichtungen der Staaten für eine konkrete Umsetzung. Darüber hinaus betont die Erklärung das Recht der Bauern und Bäuerinnen auf freie und aktive Teilnahme an der Entscheidungsfindung sowie auf ihr Recht, Informationen über sich selbst zu suchen, zu erhalten, zu produzieren und zu verbreiten.

Diese Erklärung ist ein Projekt, das in bäuerlichen Gemeinschaften[2]entstanden ist, um sich gegen die Verletzung ihrer Rechte und gegen ein Wirtschaftssystem zu wehren, das ihnen ihre Lebensgrundlage zugunsten der multinationalen Konzerne im Agrar- und Ernährungssektor entzieht.

Es besteht demnach eine enge Beziehung zwischen der Erklärung über die Rechte der Bauern und Bäuerinnen und den Problemen, die durch die Aktivitäten der TNK verursacht werden. In Artikel 2.5 der Erklärung über die Rechte der Bauern werden die Staaten aufgefordert, Maßnahmen gegen diese Instanzen zu ergreifen:

Die Staaten werden alle notwendigen Maßnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass die nichtstaatlichen Akteure, die sie regulieren können, wie Einzelpersonen und private Organisationen sowie transnationale Konzerne und andere Wirtschaftsunternehmen, die Rechte von Bauern und anderen in ländlichen Gebieten arbeitenden Personen achten und stärken“.

In diesem Artikel konzentrieren wir uns auf drei Aspekte der Agrarindustrie, die der Familienbauernschaft besonders schaden: Saatgut, Land und Vermarktung der Lebensmittel.

Agrar- und Lebensmittel-TNK gegen von Bauern erzeugtes Saatgut

Zu den negativen Auswirkungen des Monopols der Agrar- und Lebensmittel-TNK auf die Nahrungskette gehört auch das Problem des industriellen Saatguts. Heute kontrollieren vier Agro-TNK den weltweiten Saatgutmarkt[3] und tragen damit erheblich zum Verlust der Biodiversität bei. Die TNK bestimmen über Züchtungen und Preise und vergrößern ihren Einfluss vor allem dank staatlicher Behörden, die ihr Saatgut subventionieren und dieses nicht selten für die Bauern und Bäuerinnen „obligatorisch“ machen. Dadurch werden die Bauern von weiteren damit verbundenen Produkten[4] wie Düngemittel, Pestizide, … abhängig.

Darüber hinaus sind diese Praktiken durch bindende nationale Gesetze und internationale Übereinkommen über das Recht auf geistiges Eigentum[5] geschützt. Das bedeutet, dass dieses Recht pervertiert und in den Dienst der TNK gestellt wird, um unter anderem das Leben[6] zu privatisieren und zu kommerzialisieren. Diese Perversion beschränkt sich nicht auf Lebensmittel, sondern erstreckt sich auch auf andere Bereiche, wie z. B. das Gesundheitswesen[7].

Das in der Landwirtschaft verwendete Saatgut ist jedoch das Ergebnis der Züchtung und des Austauschs zwischen den Bauern und Bäuerinnen und der jahrhundertelangen Erfahrung, die von Generation zu Generation weitergegeben wurde. Diese wichtige Arbeit der Bauern und Bäuerinnen wird durch die Auferlegung von standardisiertem Industriesaatgut[8] behindert, das zudem durch einen strengen Rechtsrahmen mit entsprechenden Sanktionen geschützt ist. Es ist mittlerweile allgemein bekannt, dass der Verlust der biologischen Vielfalt und die Standardisierung von Saatgut nicht nur umweltschädlich sind, sondern auch gesundheitsschädlich, da sie in Lebensmitteln aus der industriellen Landwirtschaft zu einer Verarmung an Nährstoffen führen. Darüber hinaus bedroht der Verlust der biologischen Vielfalt die Lebensmittelsicherheit, da die Sorten vereinheitlicht werden und somit ihre Empfindlichkeit in großem Maßstab steigt.

Die Saatgutkonzerne sind bei der Instrumentalisierung der geistigen Eigentumsrechte noch weiter gegangen, indem sie die „genetischen Ressourcen“, d. h. das gesamte Leben (Pflanzen, Tiere, Mikroorganismen usw.), digitalisiert und patentiert haben. Heute sind bereits Millionen von Gensequenzen patentiert. Indem sie sich diese Sequenzen auch nur teilweise aneignen, schaden die TNK nicht nur der biologischen Vielfalt, sondern erschweren auch die handwerkliche Produktion (Landwirtschaft, Fischerei, Viehzucht usw.), da sie den Produzenten das Recht nehmen, bestimmte Pflanzensorten zu verwenden.

Wie geht die Erklärung über die Rechte der Bauern und Bäuerinnen auf die Probleme ein, die die Agrar- und Lebensmittel-TNK in Bezug auf das Saatgutrecht verursachen? In Artikel 19 der Erklärung ist das Saatgutrecht festgelegt und garantiert den Bäuerinnen und Bauern das Recht, ihr eigenes Saatgut zu entwickeln, aufzubewahren, zu nutzen, zu schützen, zu tauschen und zu verkaufen und Saatgut abzulehnen, das nicht an ihre Bedürfnisse und ihre Umwelt angepasst ist:

„a) das Recht auf Schutz des traditionellen Wissens im Zusammenhang mit pflanzengenetischen Ressourcen für Ernährung und Landwirtschaft, b) das Recht auf gerechte Beteiligung an der Aufteilung der Vorteile, die sich aus der Nutzung pflanzengenetischer Ressourcen für Ernährung und Landwirtschaft ergeben, c) das Recht auf Beteiligung an Entscheidungen über Fragen der Erhaltung und nachhaltigen Nutzung pflanzengenetischer Ressourcen für Ernährung und Landwirtschaft, d) das Recht, Nachbausaatgut oder Vermehrungsmaterial zu erhalten, zu nutzen, zu tauschen und zu verkaufen.“ (Art. 19.1)

Man kann davon ausgehen, dass dieses Recht zwei Funktionen hat: Es soll den Bäuerinnen und Bauern die Kontrolle über ihr Saatgut (zurück-)geben und ihre Beteiligung an der Entscheidungsfindung in dieser Frage sicherstellen. Mit anderen Worten, das Recht ermöglicht es den Bäuerinnen und Bauern, ihre Autonomie gegenüber den TNK zu stärken, die für ein Leben in Würde und für die Ernährung der Menschheit mit gesunden Lebensmitteln unerlässlich ist. Die Staaten sind laut Artikel 19 verpflichtet, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um die Bauern und Bäuerinnen bei ihrem Streben nach Autonomie zu unterstützen:

„Die Staaten werden Maßnahmen ergreifen, um das Saatgutrecht der Bauern und anderen in ländlichen Gebieten tätigen Personen zu achten, zu schützen und umzusetzen. (…) Die Staaten werden geeignete Maßnahmen ergreifen, um Saatgutsysteme von Kleinbauern zu unterstützen und die Verwendung eigenen Saatguts und die Agrobiodiversität zu fördern.“ (Art. 19.1.3 und 19.1.6)


Ramadhani Rafid / Unsplash

TNK „ignorieren“ die soziale Funktion von Land

Die Herausforderungen, die mit Land, Landwirtschaft und anderen Aktivitäten in ländlichen Gebieten verbunden sind, sind entscheidend, wenn nicht gar lebensnotwendig, und gehen weit über ein bloßes „Wirtschaftsinstrument“ hinaus, da sie mit der Kultur, den sozialen Bindungen und der Identität der dort lebenden Völker in Verbindung stehen. Die Politik und die Normen, die in diesem Bereich auf nationaler und internationaler Ebene sowie in verwandten Bereichen (Nahrungsmittelproduktionssysteme, Wasser- und Waldbewirtschaftung, Bergbau, Megaprojekte, Handels- und Investitionsabkommen usw.) vereinbart werden, haben einen entscheidenden Einfluss auf die wirtschaftliche, soziale, kulturelle und ökologische Entwicklung und damit auf die Nutznießung aller Menschenrechte. Ebenso haben Sie einen entscheidenden Einfluss auf die Verwaltung und Nutzung von Land, vor allem von fruchtbarem Land.

Der Zugang zu Land, Wasser, Wäldern und Weiden ist also eines der Hauptprobleme der Bauern und anderer ländlicher Bevölkerungsgruppen (Fischer, Nomaden, indigene Völker usw.). Letztere werden oftmals von Agrarreformen ausgeschlossen und ihr Zugang zu Land und anderen natürlichen Ressourcen wird zunehmend behindert. Die Agrar- und Lebensmittelkonzerne übernehmen Ackerland, um es für kommerziell profitable Intensivkulturen, Viehzucht und bloße Spekulation zu nutzen oder es gar ganz der Landwirtschaft zu entziehen.

Abgesehen von seiner wirtschaftlichen Funktion muss Landnahme aus einem an sich politischen Blickwinkel betrachtet werden, denn auf dem Spiel steht die Macht der betroffenen Völker und Gemeinschaften, darüber zu entscheiden, wie und zu welchem Zweck Land und andere natürliche Ressourcen genutzt werden sollen. Diese Herausforderung muss vor dem Hintergrund der Macht des transnationalen (aber auch nationalen) Kapitals und seines Profitstrebens auf Kosten der in den lokalen ländlichen Gemeinschaften verwurzelten Landnutzungen und Landverwaltungssysteme betrachtet werden. Aus diesem Grund hat die Landnahme durch TNK und einige Staaten im Rahmen der derzeitigen neoliberalen Globalisierung in den letzten Jahrzehnten dramatisch zugenommen.

Darüber hinaus ist das Phänomen während der aktuellen Pandemieperiode explosionsartig angestiegen. Nach Angaben der Plattform Land Matrix, die Landverträge auf internationaler Ebene überwacht, wurden im Jahr 2020 mehr als 2.300 Verträge über eine Gesamtfläche von 93 Millionen Hektar abgeschlossen (2017: 68 Millionen Hektar). Laut dieser Plattform ist der Großteil des angeeigneten Landes für den Bergbau, die Forstwirtschaft und schließlich für landwirtschaftliche Plantagen (allgemein für Monokulturen) bestimmt. Dabei sind Bauern und Bäuerinnen und andere Landarbeiter oftmals auf dieses Land angewiesen, weil sie davon ihr Leben bestreiten.

In Artikel 17 der Erklärung ist das Recht der Bauern und Bäuerinnen auf Land und andere natürliche Ressourcen festgelegt:

„Bauern und andere Menschen, die in ländlichen Gebieten leben, haben individuell und/oder kollektiv ein Recht auf Land (…), was das Recht einschließt, Zugang zu Land und den darauf befindlichen Gewässern, Küstengebieten, Fischgründen, Weiden und Wäldern zu haben und diese auf nachhaltige Weise zu nutzen und zu bewirtschaften, um sich einen angemessenen Lebensstandard zu sichern, einen Ort zu haben, an dem sie in Sicherheit, Frieden und Würde leben und ihre Kulturen entwickeln können.“ (Art. 17.1)

Es ist der Grundpfeiler dieses Textes, da Land eine wesentliche Voraussetzung für die Aktivitäten und die Existenz von Bäuerinnen und Bauern sowie für die Umsetzung all ihrer anderen Rechte ist. Aus diesem Grund war das Recht auf Land eines der am meisten erwarteten Rechte der Bauern und Bäuerinnen, aber auch eines der am meisten umstrittenen Rechte der herrschenden politischen und wirtschaftlichen Mächte. Es ist ein konkretes rechtliches und politisches Instrument, um gegen die Landentnahme durch die TNK und einige mächtige Staaten vorzugehen.

In Artikel 17 der Erklärung ist auch die Agrarreform sowie die soziale Funktion des Landes verankert und er erkennt gleichzeitig verschiedene Formen der Besetzung an: Gewohnheitsrechte ohne rechtlichen Schutz, Nutzungsrechte und alle anderen Formen legitimer Besetzung.

Darüber hinaus erkennt er Systeme der kollektiven Nutzung und Verwaltung natürlicher Ressourcen durch die ländliche Bevölkerung an. Der Artikel verbietet die Vertreibung und Zwangsumsiedlung von Bauern und Bäuerinnen und erkennt ihr Recht auf Rückkehr im Falle einer willkürlichen Vertreibung oder Zwangsumsiedlung an. Die Staaten sind außerdem verpflichtet, die Bauern und Bäuerinnen vor den Handlungen Dritter zu schützen, z. B. vor TNK oder Finanzinstituten, die sich an Strategien des Landraubs beteiligen.

Das bedeutet, dass die Bauern und Bäuerinnen, sobald ihr Landnutzungsrecht anerkannt wurde, dieses vor Gericht oder einer anderen Behörde einklagen können, z. B. gegen eine versuchte Landnahme oder Vertreibung. Dasselbe gilt für Landreformen, um das Land neu zu verteilen. Und das ist unerlässlich, um den derzeitigen Trend umzukehren, der zu einer zunehmenden Konzentration des Landbesitzes in den Händen einer Minderheit führt.

Das Monopol der TNK in der Agrar- und Lebensmittelwirtschaft und den großen Vertriebsgesellschaften auf die Vermarktung von Lebensmitteln.

Die Probleme aufgrund der TNK in der Agrar- und Lebensmittelwirtschaft betreffen auch ihr Monopol auf die Vertriebskette für Lebensmittel und damit auf die Preisgestaltung. Die Bauern und Bäuerinnen sind in einem Produktionsmodell mit einer vorgeschriebenen Auswahl an Anbausorten (oder Tierarten) gefangen und werden von den TNK sowohl bei der Produktion und Verarbeitung als auch beim Absatz ihrer Produkte abhängig. Die beiden Supermarktketten Walmart und Carrefour sind für ihre Vormachtstellung in diesem Bereich weltweit bekannt. Um ein Beispiel aus der Schweiz zu nehmen, sind die Praktiken zweier berühmter Einzelhandelsketten (Migros und Coop) in dieser Hinsicht aufschlussreich:

„Die Akteure der großen Vertriebsunternehmen spielen eine zentrale Rolle bei der Umverteilung des Reichtums aus der Schweizer Agrarproduktion. Einerseits machen die beiden Großverteiler Migros und Coop zusammen fast 50 % des Einzelhandelsmarktes für Lebensmittel aus, mit Spitzenwerten von fast 80 % für bestimmte Produkte. Da sie sich als Hauptabnehmer der landwirtschaftlichen Produktion positionieren, können sie zunehmend Druck auf die Preise ausüben, die den Produzentinnen und Produzenten gezahlt werden, da diese nur über sehr wenige Verhandlungsinstrumente verfügen. Diese duopolistische Situation führt wiederum zu einer Konzentration der Produktion und zu immer höheren Ertragsleistungen, d.h. zu einem ständigen Druck nach unten auf die Einkommen der Produzenten und damit auf die Löhne der Arbeiter. Andererseits bedeutet der Preisdruck in den großen Einzelhandelsketten, dass die Einkommen der Landwirte und damit auch die der Landarbeiter, die am Ende der Kette stehen, sinken. Letztendlich sind es also die Beschäftigten in der Landwirtschaft, die die Kosten für die Politik der großen Handelsketten tragen.“10

Darüber hinaus sind die Verträge zwischen den Handelsketten Migros und Coop mit den TNK und großen ausländischen Produzenten, die vom Handelssystem auf der Grundlage von Freihandelsabkommen geleitet werden, welche wiederum von der Profitgier der großen transnationalen Konzerne geleitet werden, die Ursache dafür, dass ausländische Billigprodukte in die Regale der Schweizer Supermärkte gelangen und die lokale Produktion benachteiligen.

Die bittere Erkenntnis ist, dass die Handlungen und Strategien dieser Lebensmittelriesen zur Prekarisierung der Bauernschaft (und der Landbevölkerung im Allgemeinen) in der Schweiz und anderswo beitragen und in gewissem Maße sogar zu ihrem Verschwinden führen. So ist in einer Studie, die in neun Schweizer Kantonen durchgeführt wurde, zwischen 2000 und 2018 die Zahl der in der Landwirtschaft tätigen Personen um 25,5 % gesunken, was einem Verschwinden von mehr als vier Arbeitsplätzen pro Tag entspricht.11

Um dem Monopol der TNK auf dem Agrar- und Lebensmittelmarkt entgegenzutreten, bietet die Erklärung mehrere Anwendungen. Laut Artikel 16 müssen Bauern und Bäuerinnen von ihrer Produktion unter würdigen Bedingungen leben können:

Bauern und andere in ländlichen Gebieten tätige Personen haben das Recht auf einen angemessenen Lebensstandard für sich und ihre Familien sowie auf einen erleichterten Zugang zu den dafür notwendigen Produktionsmitteln, einschließlich Produktionsgeräten, technischer Hilfe, Krediten, Versicherungen und anderen Finanzdienstleistungen. Sie haben außerdem das Recht, einzeln und/oder gemeinsam, im Zusammenschluss mit anderen oder innerhalb einer Gemeinschaft traditionelle Methoden der Landwirtschaft, Fischerei, Viehzucht und Forstwirtschaft frei auszuüben und gemeinschaftliche Vermarktungssysteme zu entwickeln.“ (Art. 16.1)

Laut Artikel 16 haben die Bauern und Bäuerinnen auch das Recht, gemeinschaftliche Vermarktungssysteme für ihre Produkte zu entwickeln und den Preis für ihre Produkte festzulegen.

Die Erklärung befasst sich zudem mit Freihandelsabkommen, die ein großes Hindernis für die Umsetzung der Rechte der Bauern und Bäuerinnen darstellen. In diesem Zusammenhang wird in Artikel 2.4 der Staat zur Ausarbeitung, Auslegung und Anwendung von Freihandelsabkommen verpflichtet, „die einschlägigen internationalen Normen und Abkommen, die sie in einer mit ihren menschenrechtlichen Verpflichtungen vereinbarender Weise unterzeichnet haben, die für Bauern und andere in ländlichen Gebieten tätigen Personen gelten.“

Schussfolgerung

Insbesondere in diesen drei Bereichen – Saatgut, Land und Vermarktung von Lebensmitteln – soll die UN-Erklärung über die Rechte von Bauern und anderen in ländlichen Gebieten tätigen Personen Antworten geben. Aber nicht nur. Die Originalität und der Nutzen dieser Erklärung liegen in ihren demokratischen Anforderungen. Sie kann ein konkretes politisches Instrument in den Händen der ländlichen Bewegungen sein, um sich den negativen Auswirkungen des Monopols der Agrar- und Lebensmittelkonzerne auf die Produktions- und Vermarktungskette von Lebensmitteln entgegenzustellen.

Damit diese Erklärung Wirklichkeit wird und den Kämpfen dienen kann, muss sie bekannt gemacht werden, vor allem bei den öffentlichen Behörden. Und die Rechteinhaber (Bauern und Bäuerinnen und andere Mitglieder ländlicher Organisationen), aber auch Juristen, Anwälte, Akademiker, … sollen geschult werden, denn nur durch eine allgemeine Übernahme der Erklärung wird sie sich durchsetzen und von den staatlichen Behörden umgesetzt werden können.

Melik Özden, Direktor von CETIM

 [1] Siehe Beschluss A/RES/73/165, verabschiedet am 17. Dezember 2018 mit 122 gegen 8 Stimmen bei 54 Enthaltungen: https://undocs.org/fr/A/RES/73/165.

[2]     Die Rechte der Bauern und Bäuerinnen sind in der Vìa Campesina entstanden und haben dort Gestalt angenommen. Weitere Informationen zu diesem Thema finden Sie in La déclaration de l’ONU sur les droits des paysan·nes: Outil de lutte pour un avenir commun (Die UN-Erklärung zu den Rechten der Bauern und Bäuerinnen: ein Tool zum Kampf für eine gemeinsame Zukunft, Coline Hubert, CETIM Verlag, Genf, 2019.

[3]     Sechs transnationale Konzerne [Syngenta (Schweiz), Bayer (Deutschland), BASF (Deutschland), DuPont, Monsanto und Dow (USA)] kontrollierten bis vor kurzem über 60 % des weltweiten Saatgutmarktes und 75 % des weltweiten Pestizidmarktes. Mit den Fusionen und Übernahmen sind nur noch vier übrig geblieben: Dow und DuPont fusionierten und spalteten sich anschließend in drei Konzerne auf, von denen eines Corteva heißt und sich auf die Landwirtschaft konzentriert; Chemchina übernahm Syngenta, Bayer Monsanto und die Saatgutniederlassungen von Bayer (einschließlich der Marken Stoneville, Nunhems, FiberMax, Credenz und InVigor) wurden an BASF verkauft, um die Kartellbehörden zufrieden zu stellen, siehe den Bericht des UN-Sonderberichterstatters über das Recht auf Nahrung, A/HRC/46/33, §§ 78 und 79, datiert 24. Dezember 2020, vorgelegt auf der 46. Tagung des Rats für Menschenrechte.

[4]     Siehe u.a. Fiche de formation N° 3 sur le droit aux semences, CETIM Verlag, Genf, 2021, https://www.cetim.ch/wp-content/uploads/Fiche-DDP_n%C2%B03-Semences-A4.pdf.

5     TRIPS im Rahmen der WTO und UPOV im Rahmen der WIPO insbesondere. Siehe „The right to seeds and intellectual property rights“, Christophe Golay, Geneva Academy, November 2020.

6     „Der Ursprung des ‚Rechts eines jeden auf Schutz der moralischen und materiellen Interessen, die sich aus jeder wissenschaftlichen, literarischen oder künstlerischen Produktion ergeben, deren Urheber er ist‘ (§ 2 von Artikel 27 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und § 1:c) von Artikel 15 des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte), zu Unrecht(?) als geistiges Eigentum bezeichnet, findet sich zweifellos in der Berner Übereinkunft zum Schutz von Werken der Literatur und Kunst (am 9. September 1886 verabschiedet und seitdem mehrfach geändert). Es geht darum, ‚die Schöpfer zu ermutigen, aktiv zu den Künsten und Wissenschaften und zum Fortschritt der Gesellschaft als Ganzes beizutragen‘ (Allgemeine Bemerkung Nr. 17 des UN-Ausschusses für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, E/CN.4/GC/17 vom 12. Januar 2006). “ Siehe „Le droit à la santé“ (Das Recht auf Gesundheit), Melik Özden, CETIM Verlag, Genf, 2006, https://www.cetim.ch/product/le-droit-a-la-sante.

7     „Als Beispiel seien die Patente in den Bereichen Pharmazie und Biotechnologie genannt, die zahlreiche Probleme verursachen. So erhalten Pharma- und Lebensmittelkonzerne häufig Patente auf „ihre Produkte“, nachdem sie einige Gene oder Moleküle verändert oder sie einfach durch Biopiraterie erlangt haben. Sie bringen sie dann auf den Markt und schaffen so ein Monopol für einen relativ langen Zeitraum (20 Jahre, gemäß den im Rahmen der WTO getroffenen Vereinbarungen). “ Vgl. Das bereits zitierte Recht auf Gesundheit.

8     Es handelt sich um Saatgut, dessen Eigenschaften den Bedürfnissen der Lebensmittelindustrie entsprechen (Erleichterung der Handhabung und der industriellen Verarbeitung).

10 Vgl. Travailleurs et travailleuses agricoles à la peine (Landarbeiter und Landarbeiterinnen in Not), Plattform für eine sozial nachhaltige Landwirtschaft, CETIM Verlag, S. 41, https://www.cetim.ch/product/25676/

11 Idem.