März 8, 2021

Christiane Brunner, eine Heldin des Frauenwahlrechts

Romaine Jean

Zum 50. Jahrestag des Schweizer Frauenwahlrechts


Große Porträts von Frauen zieren heute die Fassaden der Gebäude der Altstadt von Bern, zur Erinnerung an den 7. Februar 1971, als die Schweizer Frauen das Wahlrecht erhielten. 53 Jahre später als Deutschland, 52 Jahre später als Österreich, 27 Jahre später als Frankreich. Wir sind also genau bei „nur 50 Jahre“ und es wäre ein verfehlter Jahrestag, wenn wir uns nicht an die uralten Schichten der Ignoranz, die Schichten der Vorurteile, die Tiefe der Verachtung erinnern würden, die es brauchte, um den Ausschluss der Hälfte der Weltbevölkerung von Entscheidungsprozessen zu rechtfertigen. Reife braucht Zeit. Also lassen Sie mich diesen Text allen mutigen Frauen widmen, die gekämpft haben, um die Mauer der Ignoranz zu zerschlagen. Dies gilt insbesondere für eine Frau, Christiane Brunner. Und wenn man sie zur Nationalheldin machen würde? So wie Wilhelm oder Henri?


Photo black and white of Christiane Brunner, in front of a microphone, facing a huge crowd
Rund 8000 Personen unterstuetzen am 6. Märrz 1993 Christiane Brunner, Genfer SP-Nationalraetin und am 3. März gescheiterte Bundesratskandidatin, bei ihrem Auftritt an der Kundgebung auf dem Zürcher Münsterhof in Zürich. Foto: KEYSTONE/Str

Warum sie. Christiane Brunner ist aus freiem Willen und wegen ihrer schwachen Gesundheit vom Radar des Tagesgeschehens verschwunden. Aber die junge parlamentarische Journalistin, die ich zu Beginn der 90er Jahre war, sah nur sie. Sie war eine der Gründerinnen der Schweizer Frauenbefreiungsbewegung – FBB. Sie hatte den großen Lila-Streik 1991 initiiert. Eine unglaubliche Bewegung mit 500.000 Frauen auf den Straßen des Landes. Wenn es darum ging, Arbeiterinnen und Arbeiter, Bürgerinnen und Bürger, Schweizerinnen und Schweizer zu vertreten, war sie unerbittlich. Alle Bänke des Nationalrats machten sich lustig über sie. Sie hatte ein freies Leben gehabt, war geschieden, hatte einen Lebensgefährten, Kinder, biologische und adoptierte, eine schöne große Familie. Sie konnte lieben und geben, das war offensichtlich. Sie, die Proletariertochter, die eigentlich an die Kasse eines Supermarkts gehörte, hatte es geschafft, sich auf die Bänke der Universität zu hieven. Beispielhaft.

Der schwierige Kampf um die Macht. 1971 war Christiane Brunner erst 24 Jahre alt, hatte schon ein Kind und eine Zukunft zu gestalten. Die Schweiz stand noch unter dem Regime der Diskriminierung. Und da die Geschichte in die Köpfe der Menschen eindringt, ist es nicht sicher, dass alle Miasmen dieser seltsamen Vergangenheit vollständig verschwunden sind.

Die Abstimmung vom 7. Februar war eine Befreiung, vor allem aber auch ein Beginn. Und Christiane Brunner machte schmerzliche Erfahrungen beim schweren Kampf der Frauen ihrer Generation und der nachfolgenden Generationen, um in Machtkreisen akzeptiert zu werden. Sie passte offensichtlich nicht ins Milieu. Zu frei, zu viel Schminke, zu viel hiervon und zu viel davon. Sie musste dafür zahlen. 1993 versuchte sie, in den Bundesrat zu kommen. Von anonymer Seite wurden damals Gerüchte verbreitet, über Saufgelage, eine Abtreibung. Die Boulevardpresse sprach von Nacktfotos, die aber nie jemand gesehen hatte. Sie musste Erklärungen abgeben, dementieren. An den Pforten zur Regierung wurde sie abgewiesen, verraten von einem Parlament, in dem solide Mannsbilder immer noch den Preis für die Klappsitze bestimmten. Verraten von ihrem sozialistischen Präsidenten, für den eine Frau eine Frau war, aber ganz sicher nicht eine Krise wert. Christiane Brunner, einst Vorsitzende der größten Schweizer Gewerkschaft, von der Straße getragen, zweisprachig, eine, die auf Kompromissbereitschaft setzte, wurde zurückgewiesen. Sie gehörte einer noch nicht ganz verschwundenen Epoche an, in der die Männer die Frauen auswählten. Und sie bevorzugten sie fügsam. Sie hat sich wahrscheinlich nie von dieser Episode erholt. Ich weiß es nicht, aber ich kann es mir vorstellen.

Es geht voran, könnte aber besser sein. Wenn ich diese Geschichte heute erzähle, dann deshalb, weil der große Streik von 1991 und die Nicht-Wahl von Christiane Brunner ohne Zweifel am Anfang des großen Fortschritts der Sache der Frauen in diesem Land standen. Die Geschichte hat der Genferin Recht gegeben, die Berge versetzte und den Weg ebnete. 2010 wählte das Parlament einen Bundesrat mit einer Mehrheit von Frauen. Im Kanton Waadt sind 5 von 7 Regierungsmitgliedern Frauen. Es ist noch nicht alles geschafft. Die Lohngleichheit, seit 38 Jahren in der Verfassung festgeschrieben, ist immer noch nicht umgesetzt. Nur 17% der Frauen sitzen in Aufsichtsräten und kaum mehr an der Spitze von Unternehmen. Aber die Fronten sind nicht mehr so verhärtet.

Eine Heldin. Ich liebe die Schweizer Helden, Wilhelm Tell, den Rebellen. Er hat sich, wie man sagt, geweigert, sich den arroganten Habsburgern zu unterwerfen. Oder Henri Guisan, der dem Land in den schweren Stunden des Krieges Zuversicht gab. Ich liebe dieses Land, das mutige Männer hervorbringt. Und wenn noch ein paar Frauen dazukämen?

Christiane Brunner hat sich nach und nach aus der Öffentlichkeit zurückgezogen, ohne Vorwürfe, diskret. Nur weil das Leben nicht elegant ist, muss man sich dem nicht so anpassen, sagte Françoise Sagan. Also ja, heute widme ich ihr diesen Text und eine virtuelle Sonnenblume und ich hoffe, dass sie sie annimmt.

Romaine Jean ist Journalistin, Produzentin, ehemalige Nachrichtensprecherin und Moderatorin der Sendung Infrarouge sowie Chefredakteurin bei Radio Télévision Suisse.
Der Artikel erschien ursprünglich am 7. Februar 2021 auf heidi.news zu 50. Jahrestag des Schweizer Frauenwahlrechts. Hier mit Einverständnis von heidi.news veröffentlicht.