April 27, 2021

Élisabeth Dmitrieff: eine leidenschaftliche Kommunardin

Natacha Rault

Gründerin einer der ersten französischen feministischen Vereinigungen und der ersten Arbeiterinnengewerkschaft in Frankreich


Elisabeth Dmitrieff ist eine russische Feministin, eine Symbolfigur der Pariser Kommune von 1871. Sie steht für die internationalistischen Werte der Kommune – die Nationalität war nicht bedeutend, wenn es um politisches und gewerkschaftliches Engagement ging. Im Alter von 20 Jahren gründet Dmitrieff eine der ersten französischen feministischen Vereinigungen und die erste Gewerkschaft für Arbeiterinnen in Frankreich. Niemand versperrt ihr den Weg, in den 62 Tagen, in denen sie Mitglied der Kommune ist, prescht sie voran.


Jelisaweta Lukinichna Dmitriewa, geborene Kuschewa (1850-1918), 1871. Gefunden in der Sammlung der Russischen Staatsbibliothek, Moskau. Foto: KEYSTONE/HERITAGE IMAGES/Fine Art Images

Im Jahr 1851 wird sie in einer aristokratischen russischen Familie geboren, aber sie ist ein „Bastard“ und eine Frau. Deshalb wird sie niemals, wie ihre Brüder, an einer Universität studieren können. Als Tochter eines seinen Leibeigenen gegenüber sehr grausamen „Pomeschtschik“liegen ihr Fragen der sozialen Gerechtigkeit schon sehr früh am Herzen. Sie liest viel, insbesondere Marx, und Was tun? von Nikolaï Tschernyschewski, einen Roman über die Emanzipation einer jungen Frau namens Vera und ihr Engagement bei der Organisation von Kooperativen von Näherinnen nach dem Modell der russischen Dorfgemeinschaften (Obschtschina).

Nachdem sie ihre Erbschaft erhalten hatte, nimmt sie sich Vera zum Vorbild, geht eine Zweckehe ein, um dem Joch ihrer Familie zu entkommen. Sie macht sich auf den Weg nach Europa, um in der Schweiz zu studieren. 

1868 finanziert sie als Mitherausgeberin in Genf die Zeitschrift La Cause du Peuple  (Narodnoe Delo – Die Sache des Volkes), geht in die russische Sektion der Internationalen Arbeiterassoziation und arbeitet mit in der „Frauensektion“, die für die Emanzipation der Arbeiterinnen steht.

Im November 1870 wird sie von der Internationalen nach London entsandt, um Marx um Unterstützung zu bitten. Sie diskutiert mit ihm über alles Mögliche, möchte ihre industrielle Vision der Revolution mit Tschernyschewskis Gedanken zu den russischen Dorfgemeinschaften in Einklang bringen. Marx schickt sie als Beobachterin nach Paris, als im März 1871 die Kommune ausgerufen wird. Aber sie gibt sich nicht damit zufrieden, ihm Bericht zu erstatten, sondern stürzt sich gleich mit Leib und Seele in die Revolution. Ihre Tatkraft ist wegweisend: gemeinsam mit Nathalie Lemel gründet sie am 11. April 1871 die „Union der Frauen“ für die Verteidigung von Paris und die Versorgung der Verwundeten.

Unter dem Decknamen „Patriot“ organisiert sich eine richtige Gewerkschaft für die wirtschaftliche Emanzipation der Frauen nach dem Vorbild der Kooperativen: Krankenwagenfahrerinnen, Kantinenangestellte, Textilarbeiterinnen, Wäscherinnen und Buchbinderinnen in jedem Bezirk. Die gleiche Bezahlung von Mann und Frau, eine historische Tatsache, wird durchgesetzt. Die Organisation ist sehr zentralisiert und Dmitrieff behält die Kontrolle. Sie wird zur Generalsekretärin der Exekutivkommission ernannt. Das ist der einzige Posten in der gesamten Organisation, der nicht zur Wahl steht und der unwiderrufbar ist. Es handelt sich also um eine von oben gelenkte Emanzipation.

Am 22. Mai ruft sie die Frauen dazu auf, auf den Barrikaden zu kämpfen, und führt sie in der blutigen Woche in die Rue Blanche. Danach flieht sie mit Leo Fränkel in die Schweiz und wird von der französischen, Schweizer und russischen Polizei gesucht. Da sie aber ihren Ehenamen wieder annimmt, gelangt Frau Oberst Elisabeth Tomanowskaia inkognito erneut nach Russland. Seitdem ist sie mit ihren Freunden der Internationalen zerstritten. Im April 1871 schreibt sie an Hermann Jung „Wie können Sie nur dort bleiben und tatenlos zusehen, wie Paris untergeht?“. Dmitrieff ist eine Frau der Tat, sie ist gebildet, ihr Lebensprinzip aber ist die Praxis.

In Russland verliebt sie sich unsterblich in Iwan Dawidowski, den Gutsverwalter ihres Mannes und Bandenchef der Valets de Cœur (Herzbuben), der die neuen Reichen und Adligen in Russland betrügt und erpresst. Trotz vieler Warnungen von ihren Angehörigen heiratet ihn Dmitrieff, da sie ihr Leben lang nichts auf die Meinung anderer gegeben hat. Sie wollte nicht von ihm getrennt sein wenn er verurteilt und nach Sibirien deportiert würde. Mit ihren beiden Töchtern geht sie mit ihm und kann sich bei den deportierten Kommunisten noch nicht einmal ihre Vergangenheit als Kommunardin zunutze machen, da sie immer noch von der europäischen Polizei gesucht wird. Von den politischen Deportierten wird sie wegen der Taten ihres Mannes, dem Strafgefangenen, geächtet. Sie ist total isoliert.

Ihre Spur verliert sich zwischen 1910 und 1918, aber man weiß, dass sie ihren Mann verlassen hat und ihr Geld mit Handarbeiten verdient, um ihre beiden Töchter aufziehen zu können.

Das Geld aus ihrer Erbschaft gibt sie für revolutionäre Bewegungen und stirbt in Armut, ohne irgendwelche Privilegien. In Polizeiberichten wird sie als elegante Frau in einem schwarzen Kleid beschrieben. Dmitrieff, berühmt für ihr Organisationstalent und ihre Entschlossenheit, blieb ihr Leben lang frei und leidenschaftlich. Es ist nicht bekannt, ob sie zur Zeit der Revolution von 1917 noch lebte.

Im Mai 1971 gibt sich eine Gruppe von Feministinnen der Mouvement de libération des femmes (Bewegung zur Befreiung der Frauen), denen die Werte der Selbstverwaltung sehr wichtig sind, den Namen Cercle Élisabeth Dmitrieff. Ihr zu Ehren gibt es ein Museum in Volok, und obwohl sie unter dem Regime der UdSSR als Revolutionärin verherrlicht wurde, stellt das Russland unter Putin ihre Verbindung mit den räuberischen Herzbuben in den Mittelpunkt. Dmitrieff, stark und frei, lässt sich wirklich nicht für jede Demagogie einspannen, aber ihre Leidenschaft bleibt ….

Natacha Rault, Ökonomin, Feministin, Gründerin und Vorsitzende von Les sans pagEs, die das Ziel haben, den Unterschied bei der Repräsentation der Geschlechter in der französischen Wikipedia zu reduzieren.