Januar 18, 2021

Gesundheit: Auf der Suche nach den unsichtbaren Kranken

Proloy Barua

Ohne die richtigen Papiere kann es leicht passieren, dass Menschen die staatliche Gesundheitsversorgung vorenthalten wird. Sie sehen sich deshalb oft gezwungen, für teurere Privatärzte und Kliniken zu zahlen oder ganz auf medizinische Versorgung zu verzichten.


Thailand ist die Heimat von rund 500.000 Staatenlosen, die vor allem entlang der Grenze zu Myanmar leben. Viele von ihnen gehören ethnischen Minderheiten an, die schon seit Generationen im Land leben. Aufgrund verschiedener geografischer, wirtschaftlicher und bildungspolitischer Barrieren fehlt den Staatenlosen jedoch in der Regel eine Geburtsurkunde, aus der hervorgeht, dass sie die thailändische Staatsbürgerschaft haben.

Im Jahr 2002 führte Thailand eine allgemeine Krankenversicherung für die gesamte Bevölkerung ein. Der Gesundheitsschutz wird im Wesentlichen durch drei öffentliche Systeme gewährleistet: ein Versorgungssystem für Staatsbedienstete und deren Angehörige, ein Sozialversicherungssystem für Beschäftigte im formellen Privatsektor und ein allgemeines Versicherungssystem für alle anderen. Das allgemeine Versicherungssystem ersetzte ein System von Gesundheitskarten für Geringverdienende, das auch staatenlose Menschen erfasste. Der thailändische Staatsrat legte jedoch das Krankenversicherungsgesetz von 2002 so aus, dass es nur von thailändischen Staatsbürger*innen in Anspruch genommen werden konnte.

Staatenlose Menschen standen nun auf einmal ohne Krankenversicherung da und waren gezwungen, ihre medizinische Versorgung aus eigener Tasche zu bezahlen. Selbstredend nahmen sie von nun an weniger medizinische Hilfe in Anspruch. Gleichzeitig blieben viele auf hohen Arztrechnungen sitzen. Einige Krankenhäuser verschuldeten sich, weil sie Leistungen für staatenlose Patienten erbrachten, die nicht in der Lage waren, die Behandlungskosten vollständig zu bezahlen.

Erst auf zivilgesellschaftlichen Druck hin führte die Regierung 2010 ein zusätzliches System ein, die sogenannte Krankenversicherung für Menschen, die Probleme mit der Staatsbürgerschaft haben. Es verfolgt zwei Ziele: Zum einen soll es die finanziellen Schwierigkeiten öffentlicher Krankenhäuser in der Grenzregion mindern und zum anderen den Zugang staatenloser Menschen zur Gesundheitsversorgung verbessern. Es bietet ähnliche Leistungen wie das allgemeine System: ambulante und stationäre Versorgung, Unfall- und Notfallmedizin, kostenintensive Behandlungen sowie Gesundheitsvorsorge.


Thailand bemüht sich um eine
Besserung der Gesundheitslage, aber
eine Vielzahl von Problemen bleiben

Um in diesem System versichert zu sein und eine Gesundheitsversorgung zu erhalten, müssen staatenlose Personen einen mehrstufigen Prozess durchlaufen. Zunächst werden sie beim Innenministerium registriert, das ihre Staatsangehörigkeit überprüft und ihnen eine 13-stellige Identifikationsnummer zuteilt. In einem zweiten Schritt melden sie sich bei einer Gesundheitseinrichtung in der Nähe ihres Wohnorts an. Das Budget dieser Einrichtungen richtet sich nach der Zahl der registrierten Personen. Krankenhäuser erhalten jedes Jahr einen festen Betrag für jeden bei ihnen gemeldeten Staatenlosen. Staatenlose Patient*innen, die nicht zu der Einrichtung gehen, bei der sie gemeldet sind, müssen die vollen Behandlungskosten übernehmen.

Das Ziel, Staatenlosen eine bessere medizinische Versorgung zu bieten, hat das System trotz des umfassenden Angebotes an kostenlosen Behandlungen nicht erreicht. Gründe dafür sind Verwaltungsprobleme auf lokaler Ebene, Verzögerungen bei der Registrierung von Staatenlosen und eine unzureichende Zusammenarbeit zwischen dem Gesundheits- und dem Innenministerium. Außerdem fehlen Richtlinien zur Finanzplanung und zum Umfang der Leistungen für staatenlose Patient*innen.

So nutzen die in diesem System versicherten staatenlosen Kinder die ambulanten Dienste um 25 Prozent weniger als die im allgemeinen System versicherten thailändischen Kinder. Sie nehmen jedoch um 29 Prozent häufiger stationäre Dienste in Anspruch und bleiben mit 34 Prozent höherer Wahrscheinlichkeit im Krankenhaus. Sie erkranken auch häufiger an Infektionskrankheiten wie Malaria, Tuberkulose und Durchfall. Das deutet auf einen insgesamt schlechteren Gesundheitszustand hin.

Zwar entstehen den Versicherten im Prinzip keine Kosten für die Behandlung. Doch die Gesundheitszentren zur primären Versorgung in abgelegenen Gebieten sind oft schwer zu erreichen. So haben Staatenlose höhere indirekte Kosten: Sie müssen oft mehr als 30 Minuten fahren beziehungsweise sich fahren lassen, um das nächste Gesundheitszentrum zu erreichen, und mehr als zwei Stunden, um sich im nächsten Krankenhaus behandeln zu lassen. Umso schwieriger wird es in der Regenzeit.

Eine frühe Diagnose und Behandlung haben zwar die Übertragung von Malaria in Thailand eingedämmt. Doch die meisten (79 Prozent) Staatenlosen zögern eine ärztliche Behandlung hinaus oder versuchen, sich selbst zu behandeln. Viele sind mit resistenten Erregern infiziert. Darüber hinaus werden staatenlose Kinder seltener geimpft, oft haben sie nicht einmal die Standard-Schutzimpfungen bekommen. Staatenlose Kinder sind deshalb deutlich stärker gefährdet, an vermeidbaren Krankheiten zu leiden als ihre thailändischen Altersgenoss*innen.


Neben Armen und Migrant*innen
sind Staatenlose von den Folgen
der Pandemie besonders stark betroffen
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Der Artikel wurde im Atlas der Staatenlosen auf Französisch, Englisch und Deutsch veröffentlicht.