Aktie Twitter Facebook Email Copy URL
Wir brauchen einen feministischen, dekolonialen und transformativen Ansatz
Mit der Corona-Krise ist neben der Klima-Krise ein weiteres Handlungsfeld, das dringend langfristiger Antworten bedarf, in den Fokus der politischen Diskussionen weltweit gerückt. Anders als in den letzten Dekaden, in denen neoliberale Denksysteme und Austeritätspolitiken dominierten, zeigt sich, dass in Krisensituationen massive staatliche Eingriffe und Investitionen möglich sind. Das befeuert die Diskussionen der letzten Jahre um einen Green New Deal (GND), denn sowohl die Klima- als auch die Corona-Krise verschärfen weltweit die sozialen Spaltungen.
Historisch bezieht sich der GND unter anderem auf den Rooseveltschen «New Deal» in den USA der 1930iger Jahre, mit dem auf die große Rezession reagiert wurde. In Anlehnung hieran knüpft der GND an die Idee an, staatliche Eingriffe in Krisensituationen mit progressiven politischen Ansätzen zu verbinden. Besonders populär ist das Konzept in Nordamerika und Europa. Im Februar 2019 brachte die amerikanische Kongressabgeordnete Alexandria Ocasio Cortez eine Resolution mit dem Titel «Green New Deal» ein und befeuerte damit die Diskussionen in den USA. Im September desselben Jahres wurde das Konzept in Großbritannien mit dem Labour-Parteitag in Brighton bekannt. Mit eindeutiger Mehrheit angenommen und gleichermaßen getragen von Parteien, Gewerkschaften und sozialen Bewegungen setzte es sich dort als linke Antwort auf die Klimakrise durch.
Umfassende Idee für eine sozial-ökologische Utopie
Populär ist das Konzept des GND vor allem deshalb, weil es sowohl als umfassende Idee für eine sozial-ökologische Utopie nutzbar gemacht werden kann als auch sehr konkrete Vorschläge für Infrastrukturmaßnahmen und Investitionen in den jeweiligen Ländern formuliert. Zudem sieht es eine teilweise Abkehr von Austerität, mehr Wachstum und Wettbewerb vor. Das Konzept nimmt Finanzmärkte, ökologische Krise und den Bereich Arbeit und Beschäftigung gleichermaßen in den Blick. Dadurch grenzt sich der GND klar vom «Grünen Kapitalismus» ab. Zentrales Merkmal aktueller GND-Varianten ist, dass diese die Forderung nach einer raschen Reduzierung der CO2-Emissionen zur Einhaltung des 1,5 Grad-Ziels mit Forderungen nach einer Steigerung sozialer Wohlfahrt und Gerechtigkeit kombinieren. Das Konzept sieht hierfür massive öffentliche Investitionen vor. Finanziert werden sollen diese insbesondere durch Steuern von Großunternehmen und Finanztransaktionssteuern.
Populär ist der GND auch deshalb, weil er Verständigungsmechanismen zwischen Parteien, Bewegungen und Gewerkschaften ermöglicht. Dabei geht es ganz bewusst um «machbare» Politik bzw. wie es die Autorin Ann Pettifor im ersten Satz ihres Buches «The case of Green New Deal» formuliert: «We can afford what we can do» (Wir können uns leisten, was wir tun können).
Der Green New Deal braucht eine globale und dekoloniale Schärfung
Aber es gibt auch Kritik am Konzept des GND: Es handele sich hierbei vor allem um einen Plan für «westliche» Industrienationen. Kritiker*innen werfen dem Green New Deal, insbesondere wie er von Alexandria Ocasio Cortez und Bernie Sanders in den USA skizziert wird, vor, es würde zu wenig deutlich, dass sich im Zuge des GND auch die Lebensgewohnheiten wohlhabender Mittelschichten ändern müssen. Stattdessen würde propagiert, dass durch neue, smarte Technologien eine Energie- und Ressourcennutzung auf jetzigem Niveau bei gleichzeitiger Emissionsreduktion möglich wäre.
Insbesondere die aus dem anglo-amerikanischen Raum stammenden GND-Konzepte werden dafür kritisiert, sich in erster Linie auf Modelle nationalstaatlicher Wohlfahrtspolitik für westliche Industrienationen zu beschränken. Zwar wird die internationale Politikebene mitgedacht, diese rangiert jedoch weitestgehend im Rahmen existierender multilateraler Systeme. In ihrer Post-GND-Welt skizziert Ocasio Cortez zum Beispiel eine Welt, in der zwar Wohlstand mit einer Energiewende und Jobsicherheit einhergeht, gleichzeitig jedoch Militär und Polizei beworbene «Berufsgruppen» bleiben.
Was hier fehlt, ist die globale und historische Dimension: die Überwindung (neo-)kolonialer Verhältnisse in Bezug auf Ressourcenverbrauch und -raub und der damit einhergehenden Unterdrückung vieler Menschen in den kolonisierten Regionen dieser Welt. Betrachten wir die GND-Konzepte durch die Brille der Klimagerechtigkeit und globaler sozialer Gerechtigkeit, wird deutlich, dass es bei diesen transformatorischen Projekten immer auch um die Frage nach den planetaren Grenzen und den gerechten Beitrag der Industrienationen für die Rettung des Klimas gehen muss. Ein erster Schritt hierfür wäre das Eingeständnis, dass der Wohlstand eines Landes wie zum Beispiel Deutschlands nur durch Kolonialismus und die Ausbeutung von Ressourcen insbesondere in anderen Teilen der Welt erreicht werden konnte. Ein Green New Deal muss dekolonial sein und konsequent um eine multilaterale Dimension ergänzt werden.
Ebenfalls müssen Fragen nach der Kompensation ökologischer Schulden sowie Fragen nach den Ursprüngen der multiplen Krisen unserer heutigen Zeit Bestandteil linker, progressiver GND-Konzepte sein. Es braucht einen «Global Green New Deal», kurz GGND. Erste Ansätze hierzu gibt es bereits: Die Diskussionen um einen «Red Deal» in den USA verknüpfen den dortigen anti-kolonialen Kampf der Native Americans (und deren Allies) mit intersektionalen Forderungen und gehen soweit, ein Ende des Capitalism-Colonialism zu fordern – und zwar global. Forderungen nach einem Postwachstumsparadigma gehören ebenfalls dazu. Das Potential für eine Erweiterung der GND-Konzepte um dekoloniale Forderungen verdeutlichen auch die Diskussionen auf anderen Kontinenten. So ist zum Beispiel in Lateinamerika der Ansatz des Green New Deal in die Diskussionen um den Pacto Ecosocial del Sur eingeflossen. Auch in Südafrika und Tunesien beziehen sich größere Akteursgruppen auf den Green New Deal.
Das Potential rot-grüner Green New Deal-Programme für eine grundlegende Kritik an globalen Machtstrukturen sehen auch Vertreter*innen der Postwachstumsdebatte (Hofferberth/Schmelzer). Sie argumentieren, dass einige GND-Konzepte die derzeitige Wirtschaftsweise und die damit verbundenen Machtverhältnisse mit den globalen, ökologischen und sozialen Krisen in einen kausalen Zusammenhang stellen und hierbei anschlussfähiger und populärer sind als viele Postwachstumsdebatten. Wachstumskritisch gestaltet, so das Argument, könne der Green New Deal die notwendige sozial-ökologische Transformation einleiten. Zwar ist in der Resolution von Ocasio Cortez nur einmal von Wachstum die Rede. Konzepte aus Großbritannien jedoch beziehen sich explizit auf Postwachstumsdebatten.
Feministischer Green New Deal
Wenig ausgearbeitet ist bislang auch eine feministische Perspektive für einen Green New Deal. Dabei ist die Notwendigkeit einer Entwicklung einer geschlechtergerechten, ökologischen Ökonomie weltweit gleichermaßen virulent. Abgesehen von einigen äußerst zarten Ansätzen in Island und Finnland, wird nirgendwo auf der Welt eine Finanz-, Wirtschafts- und/oder Sozialpolitik betrieben, die sich an Geschlechtergerechtigkeit orientiert.
Mit der Corona-Krise werden jedoch feministische Aspekte der politischen Ökonomie verstärkt diskutiert. In den USA beispielsweise hat sich ein Kollektiv für einen feministischen GND gegründet, welches ein konsequent intersektionales Herangehen fordert. Ebenfalls gilt es diesem Ansatz als unabdingbar, Privatisierung und Kommodifizierung von natürlichen Ressourcen und öffentlicher Daseinsfürsorge zu beenden. Die Transformation hin zu einer sozial gerechten, geschlechtergerechten, menschenrechtsbasierten Gesellschafts- und Wirtschaftsform wird zudem verknüpft mit den Kämpfen gegen die Unterdrückung indigener Gruppen sowie Kämpfen gegen Rassismus und patriarchale sowie LGBTIQ-feindliche Politikstrukturen. Auch in Spanien und Haiwaii wurden von Regierungsparteien explizit feministische Ansätze zu Bewältigung der Corona-Krise eingebracht.
Für die meisten GND-Ansätze steht bislang die Schaffung von Vollbeschäftigung im Zentrum. Dies soll insbesondere durch den Ausbau von Arbeitsplätzen im Bereich der regenerativen Energien gelingen. Aber es braucht mehr als das. Der GND muss auch neue Konzepte für den Umgang mit Care-Arbeit, das heißt Sorgearbeit, integrieren. Die Mehrfachbelastung durch Erziehung, Hausarbeit und Pflege, finanzielle Unsicherheit und die Last unterfinanzierter Gesundheitssysteme, werden maßgeblich von Frauen bewältigt. Hinzu kommen ein Anstieg von Gewalt gegen Frauen und eine noch nicht absehbare Armutswelle als Folge der mit der Corona-Krise einhergehende Rezession. All diese weltweit zu beobachtenden Krisenphänomene haben ihren Ausgang in der Idee einer Ökonomie, die Arbeitskraft und natürliche Ressourcen ausbeutet. Die Proteste für eine andere Welt-Klima-Politik und die weltweiten Forderungen nach einer anderen Ökonomie, die das sichere Überleben aller auf Grundlage einer niedrigeren Wertschöpfungskette sichert, bieten die Möglichkeit, sowohl theoretische als auch praktische Ansätze der feministischen Ökonomie neu zu verhandeln.
Kurz: Die diversen aktuell weltweit diskutierten GND-Konzepte bieten einen positiven und vor allem hoffnungsvollen Ansatz jenseits der typischen linken Kritik am Existierenden. Er hat das Potential, die Diskussionen hin zur Transformation globaler Systeme zu schärfen. Hin zu einer progressiv besetzten Konzeption von Globalisierung oder Internationalismus und auch hin zu einer Dekolonisierung als eigentlichem Ziel.
Johanna Bussemer ist Referatsleiterin für Europa bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung sowie Referentin für Großbritannien und Griechenland. Nadja Charaby ist Referatsleiterin für Internationale Politik und Nordamerika bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung sowie Referentin für Klimapolitik. Der Artikel wurde zunächst auf rosalux.de veröffentlicht.