Januar 19, 2021

IBelong: Kleine Schritte rund um die Welt

Melanie Khanna

Staatenlosigkeit ist häufig unsichtbar. Sie betrifft Menschen, die nicht wählen können und die oft am Rande der Gesellschaft oder in abgelegenen Regionen leben. Eine Kampagne unter Leitung des UNHCR versucht, dies zu ändern, indem sie für das Thema sensibilisiert und auf Verbesserungen drängt. Hier werden ihre ersten Erfolge vorgestellt.


Das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR, offiziell: Amt des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen) ist vor allem für seine Arbeit mit Geflüchteten bekannt. Ein weiterer Auftrag der UN-Organisation lautet, staatenlose Menschen zu schützen und nach Lösungen für ihre Notlage zu suchen. Im Jahr 2014 startete das UNHCR eine ehrgeizige Kampagne, die die Staatenlosigkeit bis 2024 beenden soll. Sie ist als IBelong-Kampagne – mit vorangestelltem Hashtag als #IBelong – bekannt. Zur Halbzeit ihrer zehnjährigen Mission hat sie das Bewusstsein für die Staatenlosigkeit geschärft. An Orten, an denen das Phänomen unerkannt und sogar der Begriff „Staatenlosigkeit“ unbekannt war, hat die Kampagne ein Bewusstsein für das Thema geschaffen und neue Impulse gegeben.

Ganz besonders gilt dies für Afrika. Aber auch auf anderen Kontinenten gab es bemerkenswerte Fortschritte. Medien berichten zwar überwiegend darüber, wie sich die Lage Staatenloser – wie die der Rohingya in Myanmar – verschlechtert, oder sie zeigen auf, wo neue Probleme entstehen könnten, insbesondere in Indien. Dennoch verdienen die kleinen, aber wichtigen positiven Schritte Anerkennung, die inzwischen Dutzende von Ländern unternommen haben. Mehrere Länder haben konkrete Maßnahmen für die verbleibenden Jahre der Kampagne zugesagt. Diese Selbstverpflichtungen versprechen erhebliche Fortschritte im Bemühen, die Staatenlosigkeit in den kommenden Jahren zu verringern oder sogar zu verhindern.

Um die jüngsten Erfolge würdigen zu können, ist es wichtig, die Ursachen von Staatenlosigkeit zu verstehen. Zu den Hauptursachen gehört die Staatennachfolge: Wenn ein Staat aufgehört hat zu existieren und seine Nachfolger bestimmte Einwohner*innen nicht als ihre Bürger*innen anerkennen, kann dies zu Staatenlosigkeit führen. Darüber hinaus ist ein Grund für Staatenlosigkeit immer wieder eine offene Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, ethnischer Herkunft oder Religion in den Staatsbürgerschaftsgesetzen, häufig kombiniert mit fehlendem oder mangelndem Schutz gegen Staatenlosigkeit.

Oft droht Menschen auch dann Staatenlosigkeit, wenn die Staatsangehörigkeitsgesetze auf einem sehr strengen Konzept von Staatsbürgerschaft durch Abstammung beruhen. Menschen, deren Vorfahren vor Generationen eingewandert sind, haben oft die Verbindung zu ihren Herkunftsländern längst verloren, werden aber trotzdem nicht als Bürger*innen ihres Geburtslandes anerkannt. Des Weiteren kann ein mangelhaftes Meldewesen zu Staatenlosigkeit führen, vor allem, wenn Geburten nicht registriert oder beglaubigt werden. Dies gilt insbesondere für Angehörige von Minderheiten. In Geburtsurkunden werden der Geburtsort und die Abstammung einer Person festgehalten, die beiden wichtigsten Fakten für den Anspruch auf Staatsbürgerschaft. Menschen ohne einen entsprechenden Nachweis stehen insbesondere dann vor Problemen, wenn sie anders als die Bevölkerungsmehrheit aussehen, ihre Sprache nicht sprechen oder einer anderen Religion angehören.

Durch Reformen der Staatsbürgerschaftsgesetze und Verbesserungen im Meldewesen kann Staatenlosigkeit von vornherein verhindert werden. In beiden Bereichen gibt es Anlass für Optimismus. Seit Beginn der IBelong- Kampagne haben sieben Länder (Armenien, Estland, Island, Kuba, Lettland, Luxemburg und Tadschikistan) gesetzliche Bestimmungen eingeführt, um den auf ihrem Territorium geborenen Kindern, die andernfalls staatenlos wären, die Staatsbürgerschaft zu gewähren. Zwei Länder (Kuba und Paraguay) haben Vorschriften erlassen, um auch im Ausland geborene Kinder, die ansonsten staatenlos wären, als Staatsbürger*innen anzuerkennen. Zwei weitere Staaten (Madagaskar und Sierra Leone) haben ihre Gesetze so reformiert, dass Frauen ihren Kindern die Staatsangehörigkeit in der gleichen Weise verleihen können wie Männer.


Noch immer werden Frauen in 25 Staaten
rund um die Welt daran gehindert, ihren Kindern
ihre Staatsangehörigkeit zu übertragen

Weltweit gewähren jedoch rund 25 Staaten Müttern noch immer nicht das uneingeschränkte und gleiche Recht wie Vätern. Aber in einigen Ländern ist immerhin ein Reformprozess in Gang gekommen. Dies ist weitgehend den zivilgesellschaftlichen Organisationen vor Ort sowie einem internationalen Netzwerk von Nichtregierungs- und UN-Organisationen zu verdanken, der Global Campaign for Equal Nationality Rights. Dass immer mehr Staaten das Übereinkommen zur Verminderung der Staatenlosigkeit von 1961 unterzeichnen, ist jedes Mal ein weiterer Antrieb für juristische Reformen. Das internationale Übereinkommen lag viele Jahre lang weitgehend unbeachtet in der Schublade. Bis 1990 hatten es nur 15 Staaten ratifiziert, doch 2020 waren es schon 75. Allein seit Beginn der IBelong-Kampagne haben 14 Staaten – Angola, Argentinien, Belize, Burkina Faso, Chile, Guinea-Bissau, Haiti, Italien, Luxemburg, Mali, Nordmazedonien, Peru, Sierra Leone und Spanien – dieses Übereinkommen ratifiziert.

Zusätzlich zu den erwähnten erfreulichen Gesetzesreformen ist die Zahl der registrierten Geburten weltweit weiter gestiegen. Moderne Technik, aber auch bewährte Praktiken wie die direkte Meldung von Geburten durch die Krankenhäuser an die Standesämter haben hier geholfen. Noch deutlich lückenhaft werden Geburten in den am wenigsten entwickelten Ländern registriert. In der Folge haben es die Menschen dort oft schwer, Ausweispapiere zu erhalten, die sie für Ausbildung, legale Beschäftigung und den Zugang zu staatlichen Leistungen so dringend benötigen. Mit der Verabschiedung der Agenda für nachhaltige Entwicklung im Jahr 2015 erkannten alle UN-Mitgliedstaaten die Registrierung von Geburten und die Dokumentation der rechtlichen Identität als entscheidende entwicklungspolitische Faktoren an. In Punkt 16.9 der Ziele für nachhaltige Entwicklung verpflichteten sie sich, bis 2030 insbesondere durch die Registrierung der Geburten dafür zu sorgen, „dass alle Menschen eine rechtliche Identität haben“.

Neben den positiven Entwicklungen bei der Prävention hat auch die politische Bereitschaft vieler Staaten zugenommen, das Problem der Staatenlosigkeit auf ihrem Gebiet zu lösen. Dies gilt ganz besonders für Zentralasien, wo die durch den Zerfall der Sowjetunion verursachte Staatenlosigkeit seit Jahrzehnten andauert:

  • 2019 war Kirgisistan der erste Staat weltweit, der eine Klärung aller bekannten Fälle von Staatenlosigkeit auf seinem Territorium vermeldete. Der kirgisische Anwalt Asisbek Aschurow erhielt für seine juristische Beihilfe den Nansen-Flüchtlingspreis 2019 des UNHCR. Es war das erste Mal, dass dieser prestigeträchtige Preis für die Bemühungen um die Bekämpfung der Staatenlosigkeit verliehen wurde.
  • Usbekistan verabschiedete 2020 ein neues Gesetz, das etwa der Hälfte seiner staatenlosen Bevölkerung, schätzungsweise 50.000 Menschen, sofort die Staatsbürgerschaft verleiht und das außerdem dazu beiträgt, die Situation weiterer Betroffener zu verbessern.
  • 2019 verabschiedete Tadschikistan ein Amnestiegesetz, das Personen ohne Papiere den Zugang zu Ausweispapieren ermöglicht. Dies ist der erste Schritt auf dem Weg zur Einbürgerung.

Wichtige Maßnahmen zur Lösung des Problems wurden auch in Afrika ergriffen:

  • Kenia hat der bis dahin staatenlosen Minderheit der Makonde die Staatsangehörigkeit verliehen, indem es sie zur 43. offiziell anerkannten Volksgruppe des Landes machte. Als Nächstes versprach die Regierung, die Staatsbürgerschaft der Schona anzuerkennen, einer weiteren Minderheitengruppe. Sie richtete überdies eine nationale Task Force ein mit dem Ziel, die Staatenlosigkeit in Kenia endgültig zu überwinden.
  • Die Elfenbeinküste, die die höchste bekannte Zahl von Staatenlosen in Afrika verzeichnet, verabschiedete kürzlich einen nationalen Aktionsplan zur Beendigung der Staatenlosigkeit. Als erstes Land in Afrika beschloss die Elfenbeinküste im September 2020 ein formelles Verfahren zur Identifizierung und zum Schutz von Staatenlosen.
  • Viele afrikanische Staaten verpflichteten sich 2019 dazu, Studien zur Staatenlosigkeit durchzuführen, nationale Aktionspläne zu verabschieden und mindestens einem der Übereinkommen über die Rechtsstellung der Staatenlosen von 1954 oder zur Verminderung der Staatenlosigkeit von 1961 beizutreten.
  • Liberia und Eswatini, zwei der verbleibenden 25 Staaten, die es Müttern nicht gestatten, in Gleichberechtigung mit den Vätern ihren Kindern die Staatsbürgerschaft weiterzugeben, wollen dieses Problem vor Ablauf der IBelong-Kampagne in Angriff nehmen.

Auch aus der Region Asien-Pazifik werden Fortschritte vermeldet:

  • Thailand, das mit über 440.000 eine der höchsten Zahlen von Staatenlosen in Asien hat (darunter übrigens auch einige der 2018 spektakulär aus der Tham-Luang-Höhle geretteten Jungen), unternimmt mutige Schritte, um allen Betroffenen die Staatsbürgerschaft zu verleihen. Die Regierung ist die politische Verpflichtung eingegangen, bis 2024 eine vollständige Lösung für das Problem der Staatenlosigkeit zu finden.
  • Die Regierung Malaysias hat einen Fünfjahresplan verabschiedet, der die Staatenlosigkeit von Menschen tamilischer Herkunft in ihrem Land beenden soll.
  • Die Philippinen und Indonesien arbeiten zusammen, um für die Menschen eine Lösung zu finden, die zwar Verbindungen zu beiden Staaten haben, aber in keinem der beiden den Nachweis der Staatsangehörigkeit erbringen können.

In Europa sind inzwischen fast alle Länder den beiden Übereinkommen zur Staatenlosigkeit beigetreten. Die Zahl der Staatenlosen in den baltischen Staaten, die höchste in Europa, ist rückläufig. Dies ist hauptsächlich den Reformen in Estland und Lettland zu verdanken, durch die Kinder von Staatenlosen bei der Geburt automatisch die Staatsbürgerschaft des jeweiligen Landes erhalten.

Viele Staaten Amerikas, darunter Argentinien, Brasilien, Costa Rica, Ecuador, Panama, Paraguay und Uruguay, haben seit Beginn der IBelong-Kampagne Verfahren eingeführt, die die Staatenlosigkeit erfassen. Diese Verfahren ähneln den Asylverfahren für Geflüchtete, konzentrieren sich jedoch stärker darauf, Staatenlose bis zu ihrer Einbürgerung zu identifizieren und zu schützen. Kolumbien entschied sich, die Staatsbürgerschaft allen in einem bestimmten Zeitraum geborenen Kindern zu verleihen, deren Eltern als Geflüchtete aus Venezuela gekommen sind. Dies ist eine erfreuliche Entwicklung, die Zehntausenden von Neugeborenen zugutekommt, deren rechtlicher Status andernfalls in der Schwebe geblieben wäre. Sie hätten sonst weder venezolanische Papiere erhalten noch einen formalen Anspruch auf die kolumbianische Staatsbürgerschaft gehabt.

All das sind zweifellos bedeutende Verbesserungen im Vergleich zur Situation vor 2014. Gleichwohl sind noch große Herausforderungen zu bewältigen, neue kommen ständig hinzu. Dazu gehören Entwicklungen, wie sie etwa in Indien zu beobachten sind. Dort nimmt der Ethnonationalismus zu, und Menschen werden immer häufiger vertrieben. Die Aberkennung der Staatsbürgerschaft, die manche Regierungen als Maßnahme zur Terrorismusbekämpfung vorsehen, ist ebenfalls ein Grund zur Besorgnis. Solche Methoden können leicht missbraucht werden – vor allem, um Oppositionelle zu verfolgen oder andere, die bei den Machthaber*innen in Ungnade gefallen sind. Hoffnung macht jedoch, dass das Bewusstsein für das Problem der Staatenlosigkeit gestiegen ist, verbunden mit einem spürbar stärkeren politischen Willen.

Auch die Zivilgesellschaft erkennt in der Staatenlosigkeit inzwischen ein wichtiges Thema im Zusammenhang mit dem Kampf für die Rechte von Frauen, Minderheiten und Kindern. Der Sonderbericht 2015 des UNHCR „I Am Here, I Belong: The Urgent Need to End Childhood Statelessness“ (Ich bin hier, ich gehöre dazu: Die dringende Notwendigkeit, der Staatenlosigkeit von Kindern ein Ende zu setzen) gab den Anstoß für eine Koalition aus Nichtregierungsorganisationen mit UNICEF und UNHCR namens „Every Child’s Right to a Nationality“ (Das Recht eines jeden Kindes auf Staatsangehörigkeit). Diese Koalition ist in 20 Staaten aktiv und wächst weiter. Der UNHCR-Bericht „This is Our Home: Stateless Minorities and Their Search for Citizenship“ (Dies ist unser Zuhause: Staatenlose Minderheiten und ihre Suche nach der Staatsbürgerschaft) von 2017 lenkte weiteres Interesse auf das Thema, etwa das der Menschenrechtsorganisation Minority Rights Group und des UN-Sonderberichterstatters für Minderheitenfragen. Im Jahr 2018 stand Staatenlosigkeit zum ersten Mal im Mittelpunkt des UN-Forums für Minderheitenfragen.

Diese Entwicklungen sind äußerst begrüßenswert, denn Staatenlosigkeit wird jetzt auf gleicher Ebene mit anderen Formen der Ausgrenzung gesehen und bewertet. Der Kampf für Bürgerrechte für alle ist zum wesentlichen Teil des Kampfes für integrative und offene Gesellschaften geworden.

Dieser Beitrag steht unter folgender Urheberrechtslizenz: CC-BY 4.0

The article was published in the Atlas of the Stateless in English, French, and German.