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Die Bidun, die Staatenlosen Kuwaits, stammen von Nomad*innen ab, die sich nach der Unabhängigkeit des Emirates nicht registrieren ließen. Jetzt stehen sie unberechenbaren Behörden gegenüber, die die meisten von ihnen für Illegale halten.
Die Grenzziehungen zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts haben ein trauriges Erbe hinterlassen. Tausende von Menschen, die in Kuwait geboren wurden und dort immer gelebt haben, können nach wie vor nicht die kuwaitische Staatsangehörigkeit bekommen. Folglich werden ihnen weiterhin grundlegende Rechte vorenthalten, etwa zu wählen, sich in einer öffentlichen Schule einzuschreiben oder zu reisen. Und sie sind dazu verurteilt, ihre Staatenlosigkeit an ihre Kinder und Kindeskinder weiterzugeben.
Als der Arabische Frühling die Hauptstädte Nordafrikas und des Nahen Ostens erschütterte, gingen 2011 auch in Kuwait die Menschen auf die Straße. Im Februar jenes Jahres versammelten sich rund 1.000 Menschen, um mehr Rechte einzufordern. Aber anders als in Kairo oder Tunis ging es ihnen nicht darum, einen autokratischen Herrscher loszuwerden, sondern vielmehr darum, durch den Erhalt der Staatsbürgerschaft Teil dieses Volkes zu werden. Die Regierung schickte Sicherheitskräfte gegen die Demonstrant*innen, die sie nicht als Mitglieder ihres Staates betrachtete. Mehrere von ihnen wurden festgenommen und Dutzende verletzt.
Bei den Protestierenden handelte es sich um Bidun, eine in der Golfregion lebende Bevölkerungsgruppe, die seit fast 60 Jahren unter einer besonderen Form der Staatenlosigkeit leidet. Es gibt zwar keine offiziellen Zahlen, aber Schätzungen zufolge beläuft sich ihre Zahl auf mindestens 100.000. Die kuwaitische Regierung vertritt die Ansicht, es handele sich bei den Bidun nicht wirklich um Kuwaiter*innen, sondern um Ausländer*innen, die ohne Genehmigung in das Land eingereist seien. Tatsächlich waren die Vorfahren der Bidun nomadische Beduin*innen, die sich nach der Unabhängigkeit Kuwaits 1961 nicht bei den Staatsbürgerschaftskomitees registrieren lassen hatten. Die Gründe dafür waren vielfältig – Analphabetismus, kein fester Wohnsitz, Armut oder fehlender Zugang zu Behörden. Überdies waren die Grenzen der neuen Golfscheichtümer zu dieser Zeit kaum gesichert oder auch nur markiert. Außer in Kuwait leben Bidun auch in den Vereinigten Arabischen Emiraten und in Bahrain.
Die Konsequenzen dieser Ausgrenzung durch die kuwaitischen Behörden sind schwerwiegend. Die Bidun haben keine Bürgerrechte, dürfen nicht wählen und sind von den meisten Sozialleistungen ausgeschlossen. Nach Angaben der im Libanon ansässigen Menschenrechtsorganisation Gulf Centre for Human Rights sind Kinder und Frauen der Bidun besonders stark von der Diskriminierung betroffen. Trotz einer Gesetzesreform im Jahr 2015 leiden die Bidun nach wie vor unter „massiven Einschränkungen hinsichtlich ihres Zugangs zu Dokumenten, Beschäftigung, Gesundheitsversorgung, Bildung und staatlicher Unterstützung, die kuwaitische Bürger genießen“, so Amnesty International.
Im Februar 2019 lehnte der kuwaitische Bildungsminister einen parlamentarischen Antrag ab, der die Einschreibung der Kinder von Bidun in öffentlichen Schulen vorsah. Die Einschulung wurde nur Bidun-Kindern erlaubt, deren Mütter kuwaitische Staatsbürgerinnen sind, oder für Kinder und Enkelkinder von Bidun, die nach der irakischen Invasion 1990 zu „Märtyrern“ erklärt worden waren. Laut einem Bericht des britischen Innenministeriums aus dem Jahr 2016 sind Bidun-Frauen und mit Bidun-Männern verheiratete Kuwaiterinnen sexuellen Belästigungen durch Behördenvertreter ausgesetzt gewesen. Die Frauen, die bei der Beantragung von Dokumenten belästigt wurden, hatten keinerlei Informationen darüber, wo sie sich beschweren können.
Die Einwanderungsbehörde Schwedens, eines unter Bidun beliebten Migrationsziels, beschrieb in einem Bericht von 2017 das kuwaitische Registrierungssystem als äußerst kompliziert. Statt eines Reisepasses erhalten die Bidun eine „Bewertung“ oder eine „Sicherheitskarte“, die nötig ist, um eine Geburtsurkunde zu beantragen, Geld von einer Bank abzuheben, ein Auto zu fahren oder einen Arzt zu konsultieren. Bidun, bei denen die Behörden von einer anderen Nationalität ausgehen, etwa der irakischen, iranischen, saudi-arabischen oder syrischen, erhalten eine Karte mit einem blauen Streifen, die sechs Monate gültig ist und um weitere sechs Monate verlängert werden kann. Während dieser Zeit wird die Staatsangehörigkeit der Person geprüft und gegebenenfalls festgelegt. Inhaber*innen solcher Karten können in den Genuss bestimmter Vorteile kommen inklusive der Aussicht auf eine fünfjährige Aufenthaltsgenehmigung. Einschränkungen gelten auch für Reisen: Bidun müssen dafür von Fall zu Fall einen „Pass nach Artikel 17“ beantragen. Kuwait behält sich jedoch das Recht vor, ihre Wiedereinreise zu verweigern.
Ein im Jahr 2000 durch den Emir von Kuwait, Scheich Dschabir al-Ahmad as-Sabah, erlassenes Dekret ermöglicht die Einbürgerung von 2.000 Bidun pro Jahr. Jedoch hatten bis 2019 nur drei Prozent der Bidun in Kuwait die Staatsbürgerschaft erhalten. „Indem die Behörden den Bidun weiterhin die Staatsbürgerschaft verweigern, enthalten sie diesen langfristig Aufenthaltsberechtigten eine Reihe von Grundrechten vor […], die sie praktisch davon ausschließen, Teil einer lebendigen kuwaitischen Gesellschaft zu sein und dazu beizutragen“, heißt es bei Amnesty International.
Als 2015 ein Bombenanschlag auf eine Moschee verübt wurde, klagte die Justiz 29 Personen an und erklärte, dass auch 13 „illegale Einwohner“ vor Gericht stünden. Gemeint waren Bidun. Im Sommer 2019 wurden 15 Bidun während einer Demonstration verhaftet. Die Proteste waren eine Reaktion auf den Suizid des 20-jährigen Bidun Ayed Hamad Mudath. Der Staat hatte sich geweigert, ihm Personalpapiere auszustellen, woraufhin er seinen Arbeitsplatz verloren hatte.
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Der Artikel wurde im Atlas der Staatenlosen auf Französisch, Englisch und Deutsch veröffentlicht.