März 17, 2021

Margarethe Faas-Hardegger

Fanny Vaucher

Unermüdlich für die Sache der Arbeiter*innen


Was für ein Leben hatte Margarethe Faas-Hardegger! Geboren 1882 in Bern als Kind einer Mutter, die als Hebamme arbeitete und Margarethe den Sinn für soziales Engagement vermittelte, heiratete sie im Alter von 21 Jahren August Faas und bekam zwei Töchter, Olga und Lisa. Sie brach ihr Medizin- und Jurastudium ab, um das Übel der Gesellschaft an der Wurzel zu packen: die Armut. Ihre gewerkschaftlichen Aktivitäten führten dazu, dass sie im Alter von 23 Jahren die erste weibliche Sekretärin des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB) wurde. Aktiv unterstützte sie die Arbeiter, die am meisten ausgebeutet wurden, in der Tabak-, Lebensmittel- und Uhrenindustrie, als Hausangestellte oder Heimarbeiterinnen. Unermüdlich hielt sie in drei Jahren 367 Vorträge, drängte Arbeiterinnen zum Beitritt in Gewerkschaften und nahm an internationalen Kongressen teil. Zu ihren Aktionsfeldern gehörten die Sache der Arbeiter, gerechte Löhne, die Gründung von Produktionsgenossenschaften, Sexualerziehung, Verhütungsmittel und Abtreibungsrechte. Sie gründete die Zeitschrift Die Vorkämpferin und 1907 L’Exploitée, deren führende Denkerin und Autorin sie in den gut zwei Jahren ihres Bestehens war.


Portrait of Margarethe Faas-Hardegger
Foto Schweizerisches Sozialarchiv

Als 1907 die Arbeiterinnen bei Cigares Vautier in Yverdon entlassen wurden, weil sie einer Gewerkschaft beitreten wollten, organisierte Margarethe ihren Streik, den Boykott von Vautier und die Gründung einer Zigarrengenossenschaft (zur Unterstützung der Streikenden). Ein Frauenstreik! Das war nicht nur eine Premiere – die den Generalstreik von 1918 inspiriert hätte! – es war auch ein Erfolg: die Zigarrenarbeiterinnen wurden wiedereingestellt und gewerkschaftlich organisiert. Allerdings kristallisierte sich durch diese direkten Aktionen der Konflikt zwischen Margarethe und dem Zentralkomitee heraus. Sie wurde dazu gedrängt, ihr Amt aufzugeben. Zweimal wurde sie zu Gefängnisstrafen verurteilt, einmal, weil sie einem revolutionären Anarchisten ein falsches Alibi gegeben hatte, und einmal, wegen Beihilfe zur Abtreibung.

Margarethe hat sich immer öffentlich für freie Liebe und die Abschaffung der Ehe eingesetzt. Schon früh trennte sie sich von ihrem Mann und liebte und lebte mit anderen Männern. Gemeinsam mit Hans Brunner, einem Schreiner und Kriegsdienstverweigerer, sowie anderen gründete sie Gemeinschaften, erst in Zürich, und dann 1919 in Villino Graziella im Tessin, nicht weit entfernt von der befreundeten Gemeinschaft des Monte Verità. Villino Graziella hatte nur ein paar Jahre Bestand, aber Margarethe und Hans lebten dort für den Rest ihres Lebens. Zusammen mit ihrer Tochter Olga, die ebenfalls Hebamme wurde, eröffnete sie dort eine Entbindungsklinik für alleinstehende Mütter. Während des Zweiten Weltkriegs kämpfte sie gegen den Faschismus, für die Abschaffung der Armee, für Frieden und gegen Atomwaffen. Sie engagierte sich für Geflüchtete und Vertriebene ein. Ab den 1950er Jahren unterstützte sie den Kampf für das Frauenwahlrecht. Sie starb im Jahr 1963.

Es ist nicht ganz einfach, die Brocken an Informationen, die es über das so dichte Leben von Margarethe Faas-Hardegger gibt, so zu verknüpfen, dass sie einen roten Faden ergeben. Man kann nur davon träumen, dass eines Tages ihre Korrespondenz auftaucht, oder ein Tagebuch, damit man etwas über ihre Eindrücke von diesen mit so viel Leidenschaft geführten Kämpfen erfährt; man träumt, auch etwas über ihre Gefühle am Ende ihres Lebens lesen zu können – worauf war sie stolz, was hat sie bedauert, welchen Rat kann sie uns Jüngeren geben, die ihrem Engagement so viel verdanken. Auf jeden Fall machten wir uns, nachdem wir sie entdeckt hatten mit von der Energie ihres ganzen Lebens aufgeladenen Batterien, wieder auf den Weg, um noch härter zu kämpfen, dankbar und entschlossen.

Fanny Vaucher ist Comic-Autorin und Illustratorin, wohnhaft in Lausanne.  Allein oder in Zusammenarbeit hat sie mehrere Bücher herausgegeben.  Ihre Projekte wurzeln vorzugsweise im wahren Leben, es geht um  Engagement und um Wissensvermittlung. Sie ist Mitbegründerin des unisex  Media-Kollektivs La bûche.