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Engagiert für Menschenrechte, Gleichberechtigung, Gerechtigkeit und sozialen Schutz
1972, nur ein Jahr nach Einführung des Frauenstimmrechts in der Schweiz, wählte das eidgenössische Parlament mit knappem Mehr die 1933 im Kanton St. Gallen geborene Juristin Margrith Bigler-Eggenberger zur ersten Ersatzrichterin und zwei Jahre später zur ersten ordentlichen Richterin am Bundesgericht in Lausanne. Ihre Erfolge während ihrer langen Tätigkeit am Bundesgericht zeugen von ihrem Engagement im Dienst der Menschenrechte, der Gleichstellung der Frauen, der Gerechtigkeit und sozialen Absicherung der schwächeren Mitglieder der Gesellschaft. Dieses Engagement war geprägt von ihren lebensweltlichen Erfahrungen.
Geboren 1933 in einer von der Industrie geprägten Gemeinde war Margrith Eggenberger früh schon mit der Armut vieler Arbeiterfamilien konfrontiert. Ihre Eltern waren engagierte Mitglieder der sozialdemokratischen Partei. Während des Kriegs gingen Geflüchtete bei der Familie ein- und aus. Jahre später heiratete die inzwischen promovierte Juristin den in Deutschland geborenen Historiker Kurt Bigler (geb. Bergheimer), dem als Jugendlichem die Flucht aus einem Konzentrationslager und der Grenzübertritt in die Schweiz gelungen war.
Als Ersatzrichterin behandelte sie als ersten Fall die staatsrechtliche Beschwerde von Zürcher Prostituierten gegen den Entscheid der Stadt Zürich, sie auf ein Fabrikareal zu verdrängen. Mit dem Argument, auch für die «Dirnen» gelte die Handels- und Gewerbefreiheit, drang sie auch bei den Richterkollegen durch. Damit wurde von höchster Instanz in der Schweiz Prostitution als Berufstätigkeit definiert. Als ordentliche Richterin wurde sie gegen ihren Wunsch in die zivilrechtliche Abteilung versetzt. Weil ihre Argumente Urteile von wegweisendem Gewicht zu Gunsten der Frauen begründeten, erzielte sie dort langfristige Erfolge. So kann dank eines von ihr mitgeprägten Urteils der errechnete Stundenlohn für Hausarbeiten Entschädigungsansprüche legitimieren. Auch gelang es Margrith Bigler-Eggenberger, dass in Scheidungsangelegenheiten das Bundesgericht die Notwendigkeit der sozialen Absicherung nicht erwerbstätiger Frauen im Urteil zu berücksichtigen habe, was später im neuen Scheidungsrecht klar geregelt wurde.
Ein Höhepunkt ihrer Karriere war 1977 der erste Lohngleichheitsprozess der Schweiz, vier Jahre vor dem Gleichstellungsartikel in der Verfassung. Eine Neuenburger Lehrerin erhob eine staatsrechtliche Beschwerde wegen Lohndiskriminierung und das Bundesgericht gab ihr recht. Auf Grund ihrer Erfahrungen wünscht sich Magrith Bigler-Eggenbergers in ihrem Standardwerk «Justitias Waage – wagemutige Justitia?» entgegen der Norm eine «sehende Justitia», welche die Augen vor der Wirklichkeit der faktischen Ungleichheit trotz formaler Gleichheit nicht verschließt.
Elisabeth Joris ist eine Schweizer Historikerin, Professorin in Zürich. Sie gab mehrere Werke zur Frauen- und Geschlechtergeschichte der Schweiz heraus und war Mitherausgeberin der feministischen Zeitschrift Olympe. 1986 veröffentlichte sie zusammen mit Heidi Witzig Frauengeschichte(n), ein wegweisendes Quellenbuch zur Frauengeschichte der Schweiz. Artikel ursprünglich veröffentlicht in Denise Schmid (Hg.): Jeder Frau ihre Stimme. 50 Jahre Schweizer Frauengeschichte 1971-2021, Zürich 2020. Hier veröffentlicht mit der freundlichen Genehmigung des Autors.