Dezember 2, 2021

Sklaverei im afrikanischen Bewusstsein

Khwezi Mabasa

Gefangene an Bord eines Sklavenschiffs an der Westküste Afrikas. Foto: Wikimedia, CC BY-SA 4.0

Mehrere Autoren haben die Auswirkungen der Sklaverei auf die Afrikaner*innen auf dem Kontinent und in der Diaspora dokumentiert. Die grundlegendsten Beiträge stammen aus der Feder von Walter Rodney, Eric Williams und C.L.R. James. [1] Hier erfahren wir mehr über die wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Auswirkungen der Sklaverei seit ihren Anfängen im 15. Jahrhundert. Dazu gehören auch Berichte darüber, warum dieses Makrosystem gesetzlich abgeschafft wurde, und über die weltweiten Entwicklungen hin zu einem universellen Humanismus Die Abschaffung der Sklaverei und die Erlangung der Unabhängigkeit wurden als wesentliche Schritte zur Befreiung Afrikas angesehen. Folglich dachten viele, dass das mit dem Kolonialismus und der Sklaverei verbundene Bewusstsein und das Gefühl der Unterwerfung allmählich verschwinden würden. Doch die Sklaverei ist auch heute noch fester Bestandteil der Lebenserfahrung und des Bewusstseins der Menschen in Afrika. Verschiedene Schriftsteller*innen, Aktivist*innen und Akademiker*innen haben sich mit dieser Realität auseinandergesetzt, und zwar von unterschiedlichen ideologischen und politischen Standpunkten aus. [2] Die Erinnerung an Sklaverei und Kolonialismus ist bei den Menschen in Afrika immer noch präsent, auch weil sie noch keine wirkliche Befreiung erreicht haben. Sabelo Ndlovu-Gatsheni beobachtet, dass der politische Übergang zu Unabhängigkeit und liberaler Demokratie nicht zur vollständigen Emanzipation Afrikas geführt hat. Seiner Meinung nach hat die Demokratie die Vision der sozioökonomischen, politischen und kulturellen Emanzipation, wie sie von den ersten Vorkämpfern der Entkolonialisierung entwickelt wurde, nicht verwirklichen können. [3] Diese These ist gerechtfertigt, da der rassische Kapitalismus, der sowohl der Sklaverei als auch dem Kolonialismus zugrunde lag, auf dem afrikanischen Kontinent fortbesteht. Sie wurde erstmals im 15. Jahrhundert eingeführt, aber ihre wichtigsten strukturellen Merkmale bestehen auch in der postkolonialen demokratischen Ära fort.

Das afrikanische Bewusstsein kann nicht losgelöst von den sozialen Strukturen und Herrschaftssystemen wie dem rassischen Kapitalismus verstanden werden. Die in den rassischen Kapitalismus eingebetteten materiellen und ideellen Hierarchien lassen sich auf verschiedenen Ebenen beobachten. Erstens in den Bereichen des kolonialen Wissens, der Sprache und der kulturellen Dominanz. Der kenianische Schriftsteller Ngugi Wa Thiongo bezeichnet dies als metaphysisches Kolonialreich, andere nennen es koloniale Epistemologie. [4] Afrikaner*innen verbinden die anhaltende Dominanz in den oben genannten Bereichen mit Sklaverei und Kolonialismus. [5] Dies erklärt die Forderungen von Aktivist*innen nach einer Entkolonialisierung der Wissenssysteme in verschiedenen gesellschaftlichen Institutionen. Zu diesen Aktivist*innen gehören die studentischen RhodesMustFall-Aktivist*innen, Kulturgruppen, Künstler*innen, radikale Akademiker*innen und indigene Wissensspezialist*innen. Ähnliche Kampagnen wurden auch in einigen südamerikanischen Ländern und anderen Staaten mit indigener Bevölkerung gestartet. All diesen Bewegungen liegt das Ziel zugrunde, den Wert nicht-westlicher Erkenntnistheorien oder kultureller Praktiken zu bekräftigen. Rebellische entlaufene Sklavengemeinschaften in Afrika und anderen ehemaligen Kolonien haben stets versucht, indigenes Wissen in ihren Outlier-Gesellschaften zu bewahren.

Der zweite Ausdruck des rassischen Kapitalismus sind die materiellen und sozioökonomischen Hierarchien in den postkolonialen afrikanischen Gesellschaften. Das Bewusstsein und die Erinnerung an die Sklaverei sind mit der Enteignung von Ressourcen, Armut, ökologischer Zerstörung und Ungleichheit verwoben. Afrikaner*innen erleben diese strukturellen sozioökonomischen Herausforderungen immer noch im Kontext einer globalen rassifizierten kapitalistischen Ordnung. Die anschaulichsten Beispiele sind die anhaltenden Landnahmen, durch die vor allem die ländliche Arbeiterklasse und die Bauernschaft enteignet werden. Dies geschieht unter dem Deckmantel der Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung in verarmten Gemeinden. Multinationale Rohstoffkonzerne, die von korrupten Staaten unterstützt werden, stehen an der Spitze dieser neuen Form des Wirtschaftsimperialismus. Sam Moyo hat die Gewalt und die Zerstörung der Lebensgrundlagen, die durch diese Landnahmen verursacht werden, als modernen Kampf um Afrika bezeichnet. [6] Seine Analogie verweist auf die Geschichte der kolonialen wirtschaftlichen Enteignung, die sich in der gegenwärtigen Epoche fortsetzt. Afrikaner*innen aus der Arbeiterklasse, die die externalisierten Kosten der Landnahme tragen, werden grundlegende Menschenrechte vorenthalten. Dies führt dazu, dass sie sich in einer neokolonialen Welt als Untermenschen fühlen, die keine Stimme haben. Das Zusammenspiel zwischen historischer und aktueller wirtschaftlicher Beherrschung ist der Kern des Sklavenbewusstseins in den Köpfen der Afrikaner*innen.

Eine dritte Dimension des Sklavenbewusstseins in Afrika beruht auf den Hierarchien in der internen Arbeiterschaft. Der rassische Kapitalismus hat stets soziale Unterschiede in Bezug auf Rasse, Klasse, Nationalität und Geschlecht unter den Arbeitern in der ganzen Welt verursacht. Robin Kelly erklärt, dass diese Segmentierung ein konstitutives Element des rassischen Kapitalismus ist. Mit anderen Worten: Er funktioniert und reproduziert sich selbst über die hierarchische Identitätsmarkierung von Arbeiter*innen. Arbeiter*innen aus dem globalen Süden, insbesondere in Asien und Afrika, verrichten besonders prekäre Arbeit. Sie leiden unter Arbeitsrechtsverletzungen, Niedriglöhnen, Gewalt und sexueller Ausbeutung. Ein typisches Beispiel dafür sind asiatische Textilarbeiterinnen, die unter sklavenähnlichen Bedingungen arbeiten, um die von westlichen multinationalen Unternehmen vorgegebenen Produktionsziele zu erreichen. Ähnlich ist die Situation der meisten Afrikaner*innen, die mit prekären Arbeitsverhältnissen und minimalen Arbeitsrechten konfrontiert sind und so von multinationalen Unternehmen ausgebeutet werden können. Grundlegende Anforderungen des internationalen Arbeitsrechtes und bewährte Praktiken werden missachtet. Dies schließt den Einsatz autoritärer staatlicher Gesetze oder Gewalt mit ein, um Arbeiter*innen an der Organisierung zu hindern. In einigen Fällen wird Gewalt von privaten Sicherheitsdiensten ausgeübt, die auf Anweisung des Arbeitgebers handeln. Dies ist das große Paradoxon der neoliberalen Demokratie. Es ist ein System, das auf bürgerlichen Freiheitsrechten beruht, auf Freiheit, Menschenrechten und einem gleichberechtigten menschlichen Universalismus. Aber es bringt neue Formen kolonialer Herrschaft hervor und versäumt es, sich mit dem langjährigen kolonialen Erbe auseinanderzusetzen.

Sklaverei wird im afrikanischen Bewusstsein durch gelebte Erfahrungen im rassischen Kapitalismus wahrgenommen. Dieses Herrschaftssystem war die strukturelle Grundlage für Sklaverei und Kolonialismus. Es hat die verschiedenen Wellen der Demokratisierung und der Unabhängigkeit der Kolonialstaaten im Laufe der Geschichte überlebt. Die wichtigsten Erscheinungsformen des modernen rassischen Kapitalismus finden sich in folgenden Bereichen: der kolonialen Erkenntnistheorie, der neoimperialen politischen Ökonomie und den sklavenähnlichen Bedingungen auf den Arbeitsmärkten. Die Machtverhältnisse in diesen Bereichen reproduzieren die mit der Sklaverei verbundene Gewalt, Menschenrechtsverletzungen, Enteignung von Ressourcen und wirtschaftliche Ausbeutung. Dem Bewusstsein liegen sowohl ideelle als auch strukturelle, materielle Faktoren zugrunde. Es kann daher nicht von den strukturellen und soziologischen Kontexten getrennt werden, die der menschlichen Existenz zugrunde liegen.


[1] Williams , E. 1944 . Capitalism and Slavery; Rodney, W. 1972 . How Europe Underdeveloped Africa; James, C.L.R. 1963 . The Black Jacobins.

[2] Williams , E. 1944 . Capitalism and Slavery; Gqola, PM. 2010. What is Slavery to me?

[3]  Ndlovu-Gatsheni, SJ. 2018. Epistemic Freedom in Africa: Deprovincialization and Decolonization

[4] Wa Thiong’o, N. 1981. Decolonising the Mind. The politics of language in African literature.

[5] Chinguno et al., 2017. Writing and Rioting: Diaries of the Wits Fallists.

[6] Moyo , S. 2011. ‘Recent Land Grabs and Subordination of Peasantries

Khwezi Mabasa ist Senior Researcher: Politische Wirtschaft am Mapungubwe Institute For Strategic Reflection (MISTRA). Khwezis Leben ist weitgehend von Jugendpolitik, studentischem Aktivismus und gewerkschaftspolitischem Engagement geprägt. Er war in verschiedenen Führungspositionen tätig, um sich für soziale Gerechtigkeit zu engagieren. Diese Erfahrungen gaben Khwezi die Möglichkeit, sich mit der Geschichte des rassistischen Kapitalismus in Südafrika und auf der ganzen Welt vertraut zu machen. Diese politische Bildung beschränkte sich nicht darauf, sein Bewusstsein zu schärfen. Sie inspirierte ihn auch dazu, sich an Kampagnen zu beteiligen und diese manchmal auch anzuführen, die darauf abzielen, die durch den Rassenkapitalismus verursachte sozioökonomische und politische Ungleichheit zu bekämpfen. Heute setzt er sich als Lehrer, Jugendleiter, Politikberater und Autor für die Entwicklung des Rassenkapitalismus ein.