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Interview mit Claudia Bernhard (DIE LINKE.) seit 2019 Senatorin für Gesundheit Frauen und Verbraucherschutz in Bremen
„Es gibt immer noch viele Menschen, die keinen Zugang zu den Impfungen gefunden haben und solange nicht alles versucht wurde, um allen Menschen den Zugang zu ermöglichen, ist eine Impfpflicht nicht hilfreich“
Berit Köhler: Die Forderung nach einer Impfpflicht wurde gerade vom Parteivorstand der LINKEN beschlossen. Es wird in dem Zusammenhang viel damit argumentiert, dass alle, die sich impfen lassen wollen, dies auch hätten tun können. Wie siehst du das?
Claudia Bernhard: Es stimmt einfach nicht, dass alle die bisher nicht geimpft sind, Impfverweigerer*innen oder Impfgegner*innen sind. Der Zugang zu Impfungen ist eine zutiefst soziale Frage. D.h. es muss dafür gesorgt werden, dass tatsächlich alle Menschen erfahren wie, wo und wann sie eine Impfung bekommen können. Sie müssen ihre Ängste und Sorgen besprechen können. Obwohl wir in Bremen schon viele erreicht haben, stellen wir immer noch fest, dass es viele Menschen gibt, die sagen, für mich gab es bisher noch keine Möglichkeit mich impfen zu lassen. Das müssen wir ernst nehmen. Diese Menschen müssen wir alle noch erreichen und das ist noch immer nicht zu Ende ausgelotet. Die Mehrsprachigkeit, die Ansprache, die persönliche Erklärung, das ist etwas, das wir gerade für Gruppen, die schwer erreichbar sind, unbedingt herstellen müssen. Es wird jetzt beim Impfen besonders stark sichtbar, aber das ist im Kontext der gesamten Gesundheitsversorgung einer der wesentlichen Punkte und grundsätzlich ein Riesenproblem. Zu sagen, wir wollen die Menschen jetzt zum Impfen verdonnern, obwohl ein nicht unerheblicher Teil noch keine Möglichkeit hatte bzw. aus verschiedenen Gründen den Zugang nicht gefunden hat, ist nicht hilfreich. Gerade als LINKE muss man sagen, solidarische Impfangebote sind absolut das Wichtigste, um das wir uns im Moment kümmern müssen.
BK: Bremen hat mit über 80% vollständig Geimpften bundesweit die höchste Impfquote. Wie habt ihr das erreicht und was könnten andere Bundesländer davon übernehmen?
CB: Wir haben sehr früh, sehr umfassend und von Anfang an auch mehrsprachig aufgeklärt. Das Impfzentrum war schnell und gut aufgestellt. Es gab persönliche Anschreiben an alle Bremer*innen. Das Callcenter hat funktioniert, da gab es keine Warteschleifen. Wir hatten Werbung fürs Impfen auf Straßenbahnen und Großflächen. Aber besonders wichtig und erfolgreich sind die Ansprache und die mobilen Impfteams in den Stadtteilen.
Wir machen in Bremen schon lange Gesundheitsberichterstattung und wissen, dass sowohl die Verteilung von Krankheiten, die Lebenserwartung, aber auch die hausärztliche Versorgung stark von den sozialen Bedingungen in den Stadtteilen abhängt. Wir haben uns schon sehr früh die Inzidenzen in den verschiedenen Bremer Stadtteilen angesehen. Das kann man ja über das Gesundheitsamt ganz gut machen. Wenn es relativ kleine Gebiete sind, dann muss man Mindestgrößen beachten, um den Datenschutz einzuhalten. Aber wir konnten das auf PLZ-Gebiete clustern oder auf Stadtteile zusammenziehen. Wir haben dabei eindeutig festgestellt, dass in den ärmeren Stadtteilen die Inzidenzen hochgeschnellt sind.
Das war für uns ein kritischer Punkt in der Kampagne. In der ersten Welle war es noch umgekehrt: Da hatten die besser gestellten Stadtteile die höhere Inzidenz, wegen der Reiserückkehrer. Aber bei der zweiten Welle waren eindeutig die ärmeren Stadtteile am stärksten betroffen, der Zusammenhang mit Wohn- und Arbeitsverhältnissen war evident. Da gab es dann auch die Einwände: Können wir das wirklich veröffentlichen? Führt das nicht zur Stigmatisierung der ärmeren Stadtteile? Aber für mich war klar: Diese Informationen müssen raus, sie müssen solidarisch kommentiert werden, und wir müssen sofort mit entsprechenden Angeboten darauf reagieren. Das hat auch eine Diskussion ausgelöst.
Das Wesentliche war aber die Erkenntnis: Darum müssen wir uns jetzt kümmern und die Menschen dort entsprechend unterstützen. Und das geht nur mit Leuten, die dort auch verankert sind. Wir brauchen persönliche Anlaufstellen in den Stadtteilen. Man kann nicht irgendwo in einen Stadtteil oder in ein Dorf fahren, ein Impfzelt aufbauen und dann glauben, die Leute würden da hinströmen. Manche ja, aber für die meisten Menschen funktioniert das nicht einfach so von selbst. Das geht nur mit einer sozialen Verzahnung.
Das ist langfristig mit Sicherheit erfolgreicher, aber es ist natürlich auch mühsamer und es bedeutet Ressourcen.
BK: Hattet ihr in Bremen diese Zugänge und das Wissen um die Notwendigkeit schon vorher oder habt ihr habt ihr das jetzt während der Pandemie geschaffen?
CB: Diese Gesundheitsberichterstattung und die Erkenntnisse, dass es durchaus diese Unterschiede gibt, hatten wir ja schon vorliegen. Das ist hier schon längere Zeit Thema und wird immer mit Projekten und Stadtteilprogrammen flankiert. Die Gesundheitsfachkräfte in die Quartiere zu schicken, das ist eine relativ neue Entwicklung. Wir hatten schon da und dort entsprechende Präventionskräfte, die z.B. an Schulen verankert sind. Aber spezifische Gesundheitsfachkräfte haben wir erst seit den letzten ein bis zwei Jahren. Wir haben sie jetzt in den Quartieren aufgestockt und zusätzliche Kräfte in die Quartiere geschickt.
BK: Wie habt ihr diese Gesundheitsfachkräfte gefunden und welche Qualifikationen mussten die mitbringen?
CB: Das sind z.T. Menschen aus Gesundheitsfachberufen, die sich bereit erklärt haben. Und es gab Menschen, die selbst aus den Stadtteilen kommen. Wir haben schon seit 20 bis 25 Jahren ein kommunales Programm für Quartiere „Wohnen in Nachbarschaften“, d.h. es gibt da ein gewisses soziales Netz. Und aus diesem Programm haben sich auch welche mit entsprechender Vorqualifikation bereit erklärt, sich für diese Stellen anstellen zu lassen.
BK: Haben sie eine Schulung bekommen?
CB: Es gab eine Schulung durch das Gesundheitsamt. Die Gesundheitsfachkräfte müssen ja für das Impfen spezifische Fragen beantworten können. Was macht der Impfstoff? Aus was besteht er? Was passiert dann im Körper? Und ähnliches. Dieses Grundwissen wird auch immer wieder ausgetauscht. Wir haben auch eine Hotline, die all diese Fachfragen beantworten kann.
BK: Und die Gesundheitsfachkräfte sind dann in die Quartiere gegangen. Haben sie da besondere Aktionen gemacht oder wie muss ich mir das vorstellen?
CB: Die sind in den Quartiersbüros verankert und haben dort ihren Arbeitsplatz. Sie haben ihre Sprechstunden, wo sonst unser Quartiersmanagement auch sitzt.
BK: Also ist es doch ein bisschen eine Komm-Struktur oder gehen die Fachkräfte auch in Gemeindeveranstaltungen o.ä.?
CB: Nein, sie gehen auch auf den Wochenmarkt, in Kitas und Schulen und da, wo der Impfbus unterwegs ist, sind sie dabei. Wenn stationäre Angebote gemacht werden, wird das mit Kita- und Schulleitungen zusammen gemacht. Sie sind dann auch mit vor Ort, wenn das Impfen losgeht. Das findet verzahnt statt. Außerdem haben wir die Erfahrung gemacht, dass der Zugang über die Familien und über die Communitys sehr wichtig ist. Also in die Gemeinden und zu den bestehenden Treffpunkten gehen und mal eine Info-Abendveranstaltung zu machen, das ist sehr hilfreich.
Als wir in den Stadtteilen stationäre Impfangebote mit Schulen und Kitas gemacht haben, gab es die Kritik, dass das Angebot jetzt nur diejenigen kriegen, die Kinder haben. Da haben wir sehr klar kommuniziert, dass das Angebot für alle ist, die in dem Stadtteil wohnen. Das hat sich wie ein Lauffeuer weiterverbreitet. Das war dann wie ein Selbstläufer, als wir unsere Zelte aufgeschlagen haben.
Und was wichtig ist, in den jeweiligen Stationen hatten wir immer mehrsprachige Menschen, auch bei denen, die geimpft haben. Das ist natürlich für die Personalrekrutierung anspruchsvoll. Es ist nicht einfach, das alles hinzukriegen. Aber zu sagen, das klappt sowieso nicht, das finde ich nicht richtig.
Es hat auch viel Eigeninitiative aus den Stadtteilen gegeben, die wir aufgegriffen haben. Es gab Rap-Gruppen aus Tenever, die Impf-Songs geliefert haben. Wir haben Videos mit Multiplikatoren aus den verschiedenen sozialen Gruppen gedreht und verbreitet. Wo uns die Vermittler zu den einzelnen Communities fehlen, ist es auch schwieriger mit dem Impfen, das merken wir bis jetzt.
Das alles weiter aufrechtzuhalten ist auch nicht ganz einfach, das stimmt schon. Aber es ist das, was langfristig ausgebaut werden muss. Und eins ist mir dazu auch noch wichtig: Wir müssen das über die Pandemie hinaus verstetigen. Wir haben jetzt z.B. ein Impfzentrum in Bremen Nord. Bremen Nord ist nun wirklich kein reicher Stadtteil, eher das genaue Gegenteil. Und ich muss wirklich sagen, das ist ein richtig guter Standort. Wir sollten überlegen, das vielleicht generell zu institutionalisieren, als Anlaufstelle für Impfungen aber auch für sonstige Beratungen. D.h. wir müssen eigentlich darüber nachdenken, dass wir nicht einfach alles wieder einklappen, wenn wir durch sind, also nach „Pandemieende“, sondern darüber nachdenken, ob sowas dann kontinuierlich beibehalten wird.
BK: Also als eine Art Stadtteilgesundheitszentrum?
CB: Ja, genau.
BK: Wenn ich versuche das auf Flächenländer zu übertragen, fällt mir ein, dass z.B. das Robert Koch Institute (RKI) in einem Bericht beschreibt, dass Dörfer unter 2000 Einwohnern schlechter für Impfungen erreicht werden. Denkst du, es wäre eine Möglichkeit zu überlegen, wen es in dem Dorf als Vertrauenspersonen gibt, z.B. Schützenverein, freiwillige Feuerwehr, Kirche, Sportverein, Kita o.ä.? Und zu versuchen, mit denen gemeinsam eine ähnliche Struktur aufzubauen, wie die, mit der ihr in den Stadtteilen gute Erfahrungen gemacht habt?
CB: Ja, das wäre genau das. Deshalb fand ich das ja auch signifikant, dass z.B. Rheinland-Pfalz sagt, sie haben gar nicht das Personal, das in der Fläche impft. Das spiegelt ja auch ein Grundproblem. Gerade in den ländlichen Gebieten ist die hausärztliche Versorgung auch viel zu gering und kann das nicht auffangen. Wir haben gleichzeitig die Zentralisierung von Krankenhäusern etc. und auch das wird nicht aufgefangen durch regionale Gesundheitszentren vor Ort. In den Flächenländern gibt es Kommunen, die haben bis heute keine niedrigschwelligen Impfangeboten.
Und wir brauchen überall vor Ort Information; ganz viel Information und Kommunikation. Das ist das A und O. Das klappt vielleicht nicht beim ersten und nicht beim fünften Mal, aber beim zehnten Mal bleibt dann eben doch etwas hängen. Und gerade aus linker Position wäre es so wichtig diese Überzeugung an den Anfang zu stellen.
Die Multiplikatoren, die man braucht, sind dann natürlich andere in einem Flächenland oder in ländlichen Regionen als in einem Stadtstaat. Das ist dann vielleicht nicht die Moschee oder der türkische Kulturverein, sondern tatsächlich der Schützenverein, die Fußballvereine, der ADAC, die Kirchen, die Kioske oder die Gaststätten. Die Grundformel ist: Man muss „Impf-Mittler“ in allen Communities finden, die man fürs Impfen überzeugen will. Wir werden nicht alle überzeugen, das ist schon klar. Aber einen Großteil, der bislang nicht erreicht wurde, schon.
BK: Du nimmst ja auch an den Runden der Gesundheitsminister*innen teil. Gibt es da irgendwelche Vorstellungen davon, wie diese strukturellen Probleme, also z.B., dass es gar nicht genug Personal gibt, das z.B. in der Fläche die Impfungen durchführt, gelöst werden sollen? Wenn eine Impfpflicht die Impfquote steigern soll, muss es ja auch Ideen geben, wie die Menschen, die bisher den Zugang nicht haben, erreicht werden sollen. Das Problem verschwindet ja nicht dadurch, dass bei einer Impfpflicht Bußgelder gezahlt werden sollen. Gibt es zu den strukturellen Problemen irgendwelche Diskussionen?
CB: Nein, gar nicht und das finde ich auch ein bisschen seltsam. Und ich muss auch sagen, vielleicht habe ich es auch zu wenig eingefordert. Aber Bremen wird als kleines Bundesland auch nicht so richtig ernst genommen. Die Flächenländer geben da überwiegend den Ton an. Ansonsten ging es um sehr operationelle Fragen, also wann kommt der Impfstoff, wie sind die Lieferlisten, welchen Impfstoff kann ich für wen verwenden, wie ist die Altersklasse, wie ist die Zulassung etc.?
Alle sind in so einem Tunnel, in einem Problemlösungstunnel. Es wird nur von Woche zu Woche gedacht und das wars.
Eine gemeinsame Impfstrategie und die Frage, wie man es langfristig schaffen kann, dass sich die Leute impfen lassen, war nie Gegenstand von irgendeiner Diskussion. Alle reden jetzt von der Verpflichtung der Menschen, sich impfen zu lassen. Aber über die Verpflichtung des Staates, das Impfen zu ermöglichen, auch indem man die spezifischen Hindernisse und Vorbehalte angeht, redet niemand.
BK: Das finde ich wirklich erstaunlich. Zurzeit stehen an den offenen Angeboten in vielen Regionen die Menschen in langen Schlangen und müssen teilweise ohne Impfung wieder gehen. Da hilft ja eine Pflicht auch nicht wirklich weiter. Das ist eine Verlagerung der Verantwortung auf die einzelnen Menschen, wo es eigentlich eine staatliche Pflicht wäre das nötige Angebot zu schaffen.
CB: Ja, das geht hinten und vorne nicht auf. Alle wollen die Impfquoten zu erhöhen, aber die Angebote sind definitiv verschlechtert worden. Ich bekomme gerade für meine Impfzentren kaum das Personal zusammen und der Impfstoff ist auch schon wieder verknappt. Wir haben jetzt eine unglaubliche Bugwelle, weil alle ab 18-Jährigen auf einmal zum Boostern kommen. Und während sich die Leute auf der Straße stapeln zu sagen, eine Impfpflicht ist das probate Mittel, ist paradox. Das passt aber zu der Entscheidung, die epidemische Notlage zu beenden, während wir die größten Inzidenzen aller Zeiten haben. Das versteht doch kein Mensch. Und trotzdem hat es ein hohes Zustimmungspotential, weil man sich vermeintlich eine Lösung davon verspricht. Weil man der Aufgabe überdrüssig geworden ist, alles nochmal geduldig zu erklären und zu begründen.
BK: Eventuell gibt es ja einen kleinen Effekt, weil Menschen, die jetzt schon so lange gesagt haben, sie wollen sich nicht impfen lassen, nun durch die Pflicht eine Begründung haben es doch zu tun. Aber vermutlich wird man genauso viele durch eine Pflicht erst recht dazu bringen, dass sie sich einen gefälschten Impfausweis besorgen.
CB: Ja, genau das passiert jetzt schon. Wir sehen auf der einen Seite durchaus einen neuen Zulauf zu Erstimpfungen. Diejenigen, die unentschieden sind, länger abwarten wollten oder im Sommer einfach dachten, das brauche ich jetzt vielleicht gar nicht mehr, reagieren auf den Druck, der von 3G am Arbeitsplatz und 2G für Veranstaltungen und Restaurants ausgeht. Auf der anderen Seite verhärten sich die Fronten, und der Handel mit gefälschten Impfausweisen nimmt schwunghaft zu.
Was mir nochmal wichtig ist zu betonen: Die 81% Impfquote, die wir erreicht haben, bezieht sich ja auf die Gesamtbevölkerung – einschließlich der Kinder, die wir noch gar nicht impfen können. Bei den Erwachsenen haben wir eine Quote von über 93 Prozent, die vollständig geimpft sind, und von 97 Prozent, die mindestens eine Erstimpfung haben. Wenn demnächst die konventionelleren Impfstoffe zugelassen werden, wird das auch nochmal was bringen. Also man kann auch ohne eine Impfpflicht wirklich sehr nahe an die 100 Prozent kommen.
BK: Das Problem der Verfügbarkeit wird nicht gelöst. Und während hier eine Impfpflicht eingeführt wird, verhindern Deutschland und die EU gleichzeitig das Aussetzen der Patente für die Impfstoffe während der Pandemie. Obwohl allen klar ist, dass wir ohne die Impfung weder lokal noch weltweit aus der Pandemie herauskommen, werden die notwendigen strukturellen Lösungen ignoriert oder verhindert.
CB: Es ist ja noch schlimmer. Deutschland kommt derzeit nicht einmal seinen Lieferzusagen im Rahmen von COVAX nach. Die EU hat Verträge mit den Pharmakonzernen gemacht, die ihnen erlauben extreme Aufschläge zu verlangen, wenn Impfstoffe an Schwellen- und Entwicklungsländer abgegeben werden. Man hat die Nicht-Solidarität praktisch in die Verträge geschrieben.
Das vermittelt doch den Eindruck: Deutschland hat es nötig eine Impfpflicht einzuführen, weil hier das ausreichende Impfangebot nicht geschätzt und angenommen wird, während der Rest der Welt froh wäre mehr Impfstoff zu haben. Was aber, wenn man genau hinguckt nicht stimmt. Stattdessen bemühen wir uns nicht genug darum, in allen Bundesländern diese 25 bis 30 % zu erreichen und ihnen die Impfung zugänglich zu machen, die einfach nicht von selber kommen.
BK: Ihr macht das in Bremen die ganze Zeit anderes als die anderen Bundesländer und ihr habt damit unbestritten Erfolg. Es ist es doch eine große Chance, sich Best Practice Beispiele anzugucken und sich zu fragen, was machen die anders als ich und was kann ich davon lernen. Ich verstehe nicht, dass das so wenig passiert.
CB: Mir wird immer gesagt, der Stadtstaat hat einen gewissen Vorteil – ja, hat er auch. Aber das entbindet die anderen Bundesländer nicht darüber nachzudenken, wie können wir absichern, dass alle Menschen eine Impfung bekommen. Das finde ich sehr schade. Das mit der Impfpflicht ist eine Forderung, die uns nicht weiterbringt. Es gibt sehr viele Gründe, warum Menschen Vorbehalte haben oder bisher keine Impfung bekommen haben. Damit haben wir uns aber noch nicht genug reflektierend beschäftigt. Und das Wichtigste an der ganzen Sache ist, das ist kein Adhoc-Problem-Lösungsinstrument. Nachdem wir jetzt wissen, dass das Impfen immer wieder kommen wird – wir sind nicht mit zweimal durch und wir werden vermutlich auch nicht mit dreimal durch sein – werden wir die Impfkampagne im Grunde genommen jedes Jahr wieder starten müssen. Wir verlangen ja keine Einmalimpfung, sondern dass Menschen bereit sind, sich auch noch die Anpassungs-Impfung auf die jeweils nächste Virusvariante geben zu lassen. Das ist schon eine hohe Hürde.
Wir müssen das langfristig bearbeiten, es geht nicht anders. Und das begreife ich auch als soziale Frage: Wie man diese Zugänge öffnet und dafür materielle Grundlagen schafft und sich nicht auf die gesetzliche Verpflichtung zurückzieht.
Berit Köhler ist Gesundheitswissenschaftlerin und hat viele Jahre für die Linksfraktion in der Hamburger Bürgerschaft gearbeitet. Sie arbeitet gemeinsam mit Jan van Aken mit dem Büro Genf der Rosa-Luxemburg-Stiftung in einem Projekt zum Thema »Global Health«.