Januar 18, 2021

Südafrika: Kinder fallen auch durch dichte Maschen

Sindisiwe Moyo

Die Verfassung Südafrikas ist so aufgeklärt und liberal wie in kaum einem anderen Land. Doch selbst hier geraten Tausende von Menschen in den Schwebezustand der Staatenlosigkeit oder werden in ihn hineingeboren. Kinder sind besonders gefährdet.


In Südafrika leben Schätzungen zufolge rund 10.000 Staatenlose. Verlässliche Statistiken gibt es nicht. Ein Grund für die Staatenlosigkeit sind die administrativen und rechtlichen Hürden, die bei der Meldung einer Geburt auf dem Standesamt genommen werden müssen. Dabei legt Abschnitt 28 der südafrikanischen Verfassung fest, dass jedes innerhalb der Grenzen Südafrikas geborene Kind von Geburt an das Recht auf einen Namen und eine Staatsangehörigkeit hat und eine Geburtsurkunde erhalten soll.

Das Land hat sogar eine ganze Reihe einschlägiger internationaler Abkommen unterzeichnet: die Konvention der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes von 1989, den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte von 1966 und die Afrikanische Charta über die Rechte und das Wohlergehen des Kindes von 1999. Die Ausstellung von Geburtsurkunden, das konkrete Verfahren und die zur Registrierung einer Geburt erforderlichen Dokumente sind im südafrikanischen Gesetz zur Erfassung von Geburten und Todesfällen (Nr. 51 von 1992) und den dazugehörigen Verordnungen (von 2014) geregelt.

Doch trotz dieser Regelungen erwerben in Südafrika geborene Kinder ausländischer Staatsangehöriger nicht automatisch qua Geburt die südafrikanische Staatsbürgerschaft. Das Gesetz verlangt nämlich von ausländischen Eltern die Vorlage eines gültigen Visums, einer Asylbewilligung oder der Anerkennung als Geflüchteter. Doch für Asylsuchende und Geflüchtete sind solche Dokumente mit Hindernissen, Kosten und Verzögerungen verbunden. Menschen können aus verschiedenen Gründen ohne Dokumente dastehen: Ihre Aufenthaltsgenehmigungen sind abgelaufen oder sie konnten ihr Visum nicht wie vorgeschrieben außerhalb des Landes verlängern, aber auch wegen geschlossener Ämter oder des allzu restriktiven Einwanderungsrechts. Geburten müssen registriert werden, bevor das Baby 30 Tage alt ist. Andernfalls müssen die Eltern eine nachträgliche Registrierung beantragen – ein langwieriges und beschwerliches Verfahren, weil dafür Asyl- oder Geflüchtetendokumente überprüft werden.

Selbst wenn ausländische Staatsangehörige eine Geburtsurkunde erhalten haben, können weitere Probleme auf sie zukommen. Die Urkunden für ausländische Staatsbürger*innen sind oft handgeschrieben, bei der Behörde verbleibt kein Belegexemplar, und die Geburten werden nicht ins Melderegister eingetragen. Haben Eltern eine solche Urkunde verloren, können sie keinen Ersatz bekommen, da das zuständige Innenministerium handgeschriebene Geburtsurkunden nicht neu ausstellt. Ihren Kindern wird damit der Nachweis ihrer Staatsangehörigkeit unmöglich gemacht. Bis vor Kurzem durfte überdies der Vater eines unehelichen Kindes die Geburt nicht ohne die Anwesenheit der Mutter melden. Dies änderte sich erst im Juli 2018, als das Oberste Gericht von Grahamstown (dem heutigen Makhanda) die entsprechende Regelung für verfassungswidrig erklärte.

Unbegleitete ausländische Minderjährige in Südafrika haben keinen legalen Status und sind infolge restriktiver Einwanderungsgesetze ebenfalls von Staatenlosigkeit bedroht. Laut Gesetz müssen zuerst Visumanträge im Herkunftsland gestellt werden, aber das ist für bereits im Land lebende Kinder natürlich unmöglich. Da es keine Visumkategorie für unbegleitete Kinder und Jugendliche gibt, können sie auch nicht als Asylsuchende oder Geflüchtete anerkannt werden.


Jedes Kind ein Schicksal: verwaist oder von den Eltern
verlassen, in größter Armut abgegeben, nach Missbrauch
aufgenommen, aus Kriegsgebieten gebracht

2015 zeigte eine Untersuchung des Scalabrini Centre, einer Hilfsorganisation für Migrant*innen in Kapstadt, dass 80 Prozent der ausländischen Kinder in Betreuungseinrichtungen keine Geburtsurkunden oder andere Dokumente hatten, die die Voraussetzung für den Erwerb einer Staatsangehörigkeit sind. Aufgrund illegaler Migration, fehlender Geburtsurkunden, Pässe oder anderer Dokumente sowie des verlorenen Kontakts zu ihren Familien bestand für schätzungsweise 15 Prozent der Kinder ein hohes Risiko der Staatenlosigkeit. Laut einer weiteren Studie der Organisation aus dem Jahr 2017 über unbegleitete oder von ihren Familien getrennt lebende ausländische Kinder in der Region Western Cape hatten 55 Prozent der befragten Kinder keine Geburtsurkunden. 21 Prozent waren dieser Studie zufolge von Staatenlosigkeit bedroht.

Abschnitt 4(3) des südafrikanischen Staatsbürgerschaftsgesetzes – in der geänderten Fassung von 2010 – ermöglicht in Südafrika geborenen ausländischen Kindern den Erwerb der südafrikanischen Staatsbürgerschaft, wenn sie volljährig sind. Dies gilt jedoch nur für nach Januar 2013 geborene Kinder, deren Geburt registriert wurde – was bedeutet, dass ihre Eltern im Besitz gültiger Dokumente gewesen sein müssen. Die Auslegung dieser Bestimmung ist Gegenstand zahlreicher Rechtsstreitigkeiten. Abschnitt 2(2) desselben Gesetzes sieht die Staatsbürgerschaft für in Südafrika geborene Personen vor, die nicht die Staatsbürgerschaft eines anderen Landes erhalten können. Sie müssen jedoch nach wie vor eine Geburtsurkunde besitzen. Daher dürfte Abschnitt 2(2) für die meisten Staatenlosen wenig hilfreich sein.

Die südafrikanische Regierung könnte das Risiko der Staatenlosigkeit für Kinder durch verschiedene Maßnahmen verringern. So sollte sie allen von Staatenlosigkeit bedrohten Kindern die Staatsangehörigkeit gewähren. Sie sollte alle einschlägigen Gesetze, insbesondere die über Geburtenregistrierung und Staatsbürgerschaft, überprüfen und diskriminierende Abschnitte, die das Anrecht von Kindern auf eine Staatsangehörigkeit behindern, ändern oder streichen. Sie sollte systematisch alle Kinder ohne Ausweispapiere in Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen identifizieren und sicherstellen, dass sie eine Geburtsurkunde und eine Staatsangehörigkeit erhalten. Sie sollte die Datenerhebung über Kinder von Geflüchteten verstärken und ihre Registrierung und Dokumentation vereinfachen. Und schließlich sollte sie sicherstellen, dass das Flüchtlingsgesetz mit der UN-Konvention über die Rechte des Kindes übereinstimmt, und unbegleiteten Kindern ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht gewähren.

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Der Artikel wurde im Atlas der Staatenlosen auf Französisch, Englisch und Deutsch veröffentlicht.