Januar 18, 2021

USA: Ungewisse Zukunft

David C. Baluarte

Die Konservativen in den USA beschränken die Einwanderung und interpretieren das Territorialprinzip neu. Die Staatsbürgerschaft für im Land geborene Kinder soll künftig nicht mehr selbstverständlich sein.


Seit ihrer Gründung haben die Vereinigten Staaten Menschen willkommen geheißen und ihnen ihre Staatsbürgerschaft gewährt. Im Land geborene Kinder werden automatisch Bürger*innen der USA. Seit der Verabschiedung des 14. Zusatzartikels der Verfassung im Jahr 1868 ist diese Garantie ein Eckpfeiler der US-amerikanischen Identität.

Doch die US-amerikanische Demokratie ist in ein schwieriges Fahrwasser geraten. Präsident Donald Trump will bei der Erteilung der Staatsbürgerschaft qua Geburtsort künftig differenzierter vorgehen. Tatsächlich wollen er und seine Gefolgsleute das Territorialprinzip derart uminterpretieren, dass Kinder irregulärer Einwanderer davon ausgeschlossen werden. Diese restriktive Sichtweise der US-amerikanischen Identität und der Grundrechte verbreitet sich immer mehr im Land. Eine so drastische Neuinterpretation des 14. Zusatzartikels hätte schwerwiegende Folgen.

Schätzungen des überparteilichen Zentrums für Migrationsstudien (Center for Migration Studies, CMS) zufolge könnten 2020 etwas mehr als 200.000 Menschen in den Vereinigten Staaten staatenlos oder von Staatenlosigkeit bedroht sein. Das geht weit über die einige Tausend Staatenlosen hinaus, die das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) zuvor prognostiziert hatte. Die im Ausland geborene Bevölkerung in den USA ist sehr heterogen; möglicherweise leben dort viel mehr staatenlose Menschen aus dem Nahen Osten, Afrika und Asien als bisher angenommen.


Insgesamt mehr als 200.000 Immigrant*innen
in den USA könnten von Einschränkungen
des Staatsangehörigkeitsrechts betroffen sein

Fest steht, dass das Jus soli, also das auf dem Territorialprinzip beruhende Staatsbürgerschaftsrecht, der wesentliche Grund ist, warum die Staatenlosigkeit in den USA insgesamt relativ selten ist und nicht weitergegeben wird. Beispielsweise können sich die aus Kuwait stammenden Bidun – eine Gruppe, die in ihrem Heimatland staatenlos ist und im Golfkrieg von 1990/91 in die USA geflohen ist – darauf verlassen, dass ihre dort geborenen Kinder die Staatsbürgerschaft bekommen.

Und: Die Staatsangehörigen mancher Länder können ihren im Ausland geborenen Kindern ihre eigene Staatsangehörigkeit nicht übertragen. Wenn diese Kinder aber in den USA geboren werden, erhalten sie automatisch die US-Staatsbürgerschaft. In der westlichen Hemisphäre bieten die Bahamas das wohl eindringlichste Beispiel dafür: Den Frauen dort ist es nicht gestattet, ihre Staatsbürgerschaft an ihre Kinder weiterzugeben, wenn diese im Ausland auf die Welt kommen. In Haiti und einigen anderen Ländern der Region erschweren marode Systeme der Geburtenregistrierung den Eltern, die Staatsbürgerschaft für im Ausland geborene Kinder zu beantragen. Bezieht man solche Fälle mit ein, könnte das Problem der Staatenlosigkeit in den USA zehnmal größer als nach bisherigen Schätzungen sein, wenn die rechtlichen Bedingungen des Jus solis geändert werden.

Unterdessen setzt die Trump-Regierung ihre Ankündigungen über Einwanderungsbeschränkungen in die Tat um. So dürfen schon jetzt viele Menschen aus muslimischen Ländern nicht mehr in die USA einreisen. Die Mauer entlang der Grenze zu Mexiko wächst. Dass Trump immer wieder darauf zu sprechen kommt, das Staatsbürgerschaftsrecht nach dem Territorialprinzip einzuschränken, muss daher durchaus als eine ernsthafte Bedrohung gesehen werden.


Unter den bevorzugten Zielen der
Immigrant*innen ist die alte Industrieregion des
Mittleren Westens noch immer erkennbar

Dies gilt umso mehr, als eine Mehrheit der Richterinnen, die auf Lebenszeit dem Obersten Gerichtshof angehören, zu den Konservativen zählt. Unmittelbar vor Trumps Wahl zum Präsidenten gab zudem der wissenschaftliche Dienst des Kongresses ein Thesenpapier heraus, das für einen „einvernehmlichen Ansatz“ in Bezug auf die Staatsbürgerschaftsklausel des 14. Verfassungszusatzartikels plädierte. Demnach soll das Territorialprinzip auf diejenigen beschränkt sein, die den USA eine ungeteilte Loyalität entgegenbringen. Eine solche Auslegung könnte dazu benutzt werden, die Kinder von Migrant*innen in den USA von der Staatsbürgerschaft qua Geburt auszuschließen.

Auch wenn bisher das Problem der Staatenlosigkeit in den Vereinigten Staaten dank des seit Langem geltenden Jus soli klein ist, ist es heute sichtbarer denn je. Die Gefährdung des Territorialprinzips ist real. Hunderttausende, vielleicht sogar Millionen von US-Bürger*innen könnten davon betroffen sein. Denn die Trump-Regierung unter Federführung des Justizministeriums will verstärkt zum Mittel der Ausbürgerung greifen, gleichgültig ob die Betroffenen eine anderweitige Staatsangehörigkeit haben oder nicht.

Auf Betreiben des Außenministeriums soll zudem die Ausstellung von Pässen für die Menschen eingeschränkt werden, die nahe der Grenze zu Mexiko geboren wurden. Es bestünde ja die Möglichkeit, dass sie gar nicht innerhalb der Landesgrenzen auf die Welt gekommen seien. Das alles lässt die Bereitschaft erkennen, die Staatsbürgerschaft zu einer Waffe in Trumps nationaler Sicherheitspolitik zu machen. So wurden auch Einreiseverbote ausgesprochen, um die Einwanderung aus bestimmten von Trump als unerwünscht angesehenen Regionen zu verhindern. Dies deutet darauf hin, dass seine Sicht der nationalen Sicherheit von rassistischen und religiösen Dogmen beeinflusst ist – die Wurzel praktisch jeder Staatenlosigkeitskrise in der Geschichte.

Dieser Beitrag steht unter folgender Urheberrechtslizenz: CC-BY 4.0

Der Artikel wurde im Atlas der Staatenlosen auf Französisch, Englisch und Deutsch veröffentlicht.