Januar 18, 2021

Elfenbeinküste: Für Kaffee und Kakao

Nicola Liebert

Die Elfenbeinküste hält für die Staatenlosigkeit im Lande, die auf starke Migration während der Kolonialzeit zurückgeht, ein restriktives und willkürlich angewandtes Staatsbürgerschaftsrecht bereit. Die ivorische Regierung will nun die daraus entstandenen Probleme bis 2024 lösen.


Die größte Gruppe von Staatenlosen in der Elfenbeinküste sind Menschen, die als Arbeitskräfte teils unter Zwang, teils freiwillig ins Land gekommen sind, sowie deren Nachfahren. Schon in der Kolonialzeit war die Wirtschaft des Landes stark vom Anbau in Plantagen geprägt, ab den 1930er-Jahren vor allem von Kaffee und Kakao. Die dafür benötigten Arbeiter*innen wurden im Land, aber zunehmend auch in anderen Teilen des französischen Kolonialreichs in Westafrika rekrutiert, besonders aus dem späteren Burkina Faso.

Zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit 1960 waren nach Schätzungen des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR) etwa 13 Prozent der ivorischen Bevölkerung Einwander*innen, also außerhalb der Elfenbeinküste geboren. Sie waren plötzlich staatenlos. Die Migration aus den westafrikanischen Nachbarstaaten hielt noch bis Ende der 1990er-Jahrean. Inzwischen sind es gar nicht mehr die Migrantinnen, die besonders von Staatenlosigkeit betroffen sind, sondern ihre in der Elfenbeinküste geborenen Kinder und Kindeskinder. Bei der Volkszählung von 2014 gaben 24 Prozent der Bevölkerung an, nicht die ivorische Staatsbürgerschaft zu besitzen, obwohl 59 Prozent der Befragten im Land geboren waren; ob diese Menschen eine andere Staatsbürgerschaft haben, wurde nicht erfragt.


Während die Elfenbeinküste 40 Prozent der
weltweiten Kakaobohnen liefert, erzielt das Land nur
5 bis 7 Prozent der weltweiten Gewinne damit

Laut dem Staatsbürgerschaftsgesetz von 1961 erhalten nur Kinder mit wenigstens einem ivorischen Elternteil automatisch die Staatsbürgerschaft. Für Ausländer*innen, die sich im Land aufhielten, als die Elfenbeinküste von Frankreich unabhängig wurde, sah das Gesetz ein einjähriges Programm vor, das die Einbürgerung erleichtern sollte. Tatsächlich aber ergriff keine einzige ausländische Person diese Gelegenheit. Kinder von bereits in der Elfenbeinküste geborenen Einwander*innen konnten bis 1972 die ivorische Staatsbürgerschaft durch eine einfache Erklärung bei den Behörden erwerben. Doch nur ganze 36 Antragsteller*innen erhielten sie durch das Einreichen einer solchen Mitteilung.

Gleichwohl genossen Einwander*innen und ihre Nachkommen lange fast die gleichen Rechte wie ivorische Staatsbürger*innen. Grund dafür war die liberale Politik des seit der Unabhängigkeit bis zu seinem Tod 1993 amtierenden Präsidenten Félix Houphouët-Boigny. Er war der Meinung, dass ausländische Arbeitskräfte der ivorischen Wirtschaft nutzen können, besonders bei den arbeitsintensiven Agrarprodukten für den Export. In dem Maße jedoch, in dem der Verfall der Rohstoffpreise und andere wirtschaftliche Probleme wie auch die Xenophobie im Land zunahmen, verschlechterte sich die Lage der Staatenlosen. So machte 1998 ein Gesetz die ivorische Staatsangehörigkeit zur Voraussetzung für den Erwerb von Land. Ohne die Vorlage von Ausweispapieren ist auch die Teilnahme an Aufnahmeprüfungen für höhere Schulen meist unmöglich.

Das ivorische Meldewesen ist nur schwach entwickelt. Viele Ivorer*innen lassen Geburten nicht registrieren, unter anderem, weil es darüber kaum Informationen gibt und weil korrupte Beamte dafür oft illegal Gebühren erheben. Um ivorische Ausweispapiere zu erhalten, ist jedoch die Vorlage einer Geburtsurkunde und eines Nachweises der Staatsangehörigkeit der Eltern nötig. Viele Menschen haben diese Papiere nie besessen, und viele weitere haben sie bei der Flucht während des Bürgerkriegs in den 2000er-Jahren verloren. Kinder, deren Eltern im Krieg starben, sind besonders stark von Staatenlosigkeit bedroht. Auch Diskriminierung spielt eine Rolle: Eingebürgerte Frauen können ihre Staatenlosigkeit nicht automatisch an ihre Kinder weitergeben, es sei denn, der Vater der Kinder ist gestorben.

All dies trägt dazu bei, dass die Zahl der Staatenlosen in der Elfenbeinküste hoch bleibt. Wie hoch, lässt sich nicht ohne Weiteres bestimmen. Das liegt zum Teil an den Mängeln im Meldesystem, zum Teil an der lückenhaften Identifizierung von Staatenlosen. So ist zum Beispiel unbekannt, wie viele Menschen die Staatsbürgerschaft des Herkunftslandes ihrer Vorfahren angenommen haben. Ein weiteres Problem ist der statistisch kaum erfassbare Menschenhandel mit Kindern aus den Nachbarländern für die Arbeit auf den Kakaoplantagen. Sie haben keine Papiere und sind nach ihrer Verschleppung auch noch von Staatenlosigkeit bedroht.

Aus diesen Gründen ist es auch unmöglich, die genaue Zahl der tatsächlich Staatenlosen in der Elfenbeinküste anzugeben. Die Regierung spricht von 700.000 Menschen, davon 300.000 Kinder, deren Eltern nicht bekannt sind. Der UNHCR meldet fast eine Million Betroffene. Lösbar wäre das Problem der Staatenlosigkeit, wenn die Einbürgerung erleichtert und das Staatsangehörigkeitsrecht reformiert würde. So könnten die Kinder, die in der Elfenbeinküste auf die Welt gekommen und deren Eltern auch bereits dort geboren sind, automatisch die ivorische Staatsbürgerschaft erhalten. Wichtig ist es aber auch, Staatenlose besser zu identifizieren und das Meldesystem zu stärken.


Für Côte d’Ivoire, wie die Elfenbeinküste in
Deutschland amtlich heißt, sind alle statistischen
Zahlenangaben mit Vorbehalt zu betrachten

Inzwischen ist eine positive Entwicklung in Gang gekommen. 2013 hat die Elfenbeinküste die Übereinkommen über die Rechtsstellung der Staatenlosen von 1954 und zur Verminderung der Staatenlosigkeit von 1961 ratifiziert. 2020 kündigte die Regierung in Abidjan einen nationalen Aktionsplan an, der das Problem der Staatenlosigkeit bis 2024 lösen soll.

Dieser Beitrag steht unter folgender Urheberrechtslizenz: CC-BY 4.0

Der Artikel wurde im Atlas der Staatenlosen auf Französisch, Englisch und Deutsch veröffentlicht.