Januar 18, 2021

Uganda: Ein Staat auch für die Wenigen

Johanna Katharina Seidl

Eine Reihe kleiner indigener Gemeinschaften steht nicht auf der Liste, die festlegt, wer die Staatsvölker Ugandas sind. Um sich vor Staatenlosigkeit zu schützen, verleugnen die Ausgeschlossenen ihre Identität.


In Uganda befinden sich Angehörige von Minderheiten seit der Einführung nationaler Ausweispapiere in einem Schwebezustand zwischen kultureller Identität und legaler Staatsangehörigkeit. Im Jahr 2014 hatte die Regierung das Projekt „Informationssystem für die nationale Sicherheit“ ins Leben gerufen mit dem Ziel, Ausweispapiere als eindeutiges Identifizierungsmerkmal für die Parlamentswahlen 2016 auszustellen. Die neuen Dokumente sind nicht nur für die Stimmabgabe, sondern auch für den Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen wie Geburtenregistrierung, Gesundheitswesen, Bildung sowie zu Finanzdienstleistungen erforderlich.

Die 1995 verabschiedete Verfassung Ugandas sieht die Staatsbürgerschaft bei Geburt für alle vor, deren Eltern oder Großeltern Angehörige der im dritten Verfassungsanhang aufgeführten indigenen Gemeinschaften sind. Dabei handelt es sich um diejenigen ethnischen Gruppen, die am 1. Februar 1926 innerhalb der Grenzen des Landes ansässig waren. Bei einer Verfassungsänderung im Jahr 2005 wurden neun Gruppen hinzugefügt, nun umfasst die Liste 65 indigene Gemeinschaften. Sie schließt jedoch nach wie vor mehrere Minderheiten aus, obwohl diese sich vor dem Stichtag in Uganda aufgehalten hatten und obwohl ihre Angehörigen keine andere Staatsangehörigkeit und keine anderen legalen Möglichkeiten haben, die Staatsbürgerschaft bei der Geburt zu erwerben.


Ugander*in ist nur, wer zu einer von 65 indigenen Gemeinschaften
gehört, die vor 1926 im Land gelebt haben.
Über 30.000 Menschen sind ausgeschlossen – noch

Auch wenn es schon seit den 1990er-Jahren Diskussionen über die Einführung von Ausweispapieren gab, wurde doch erst 2015 das Gesetz über die Registrierung von Personen verabschiedet und die Nationale Identifizierungs- und Registrierungsbehörde geschaffen, die diese Papiere ausstellen sollte. Doch viele Angehörige von Minderheiten wurden abgewiesen, weil die Verfassung ihre jeweilige indigene Gemeinschaft nicht anerkannte. Durch eine eigentlich auf Inklusion zielende Maßnahme drohte nun Staatenlosigkeit – und weil sie von wesentlichen öffentlichen Dienstleistungen ausgeschlossen waren, sahen sich viele Angehörige von Minderheiten gezwungen, ihre kulturelle Identität zu verleugnen. Um ihren rechtlichen Status zu begründen, ließen sie sich als Mitglieder anderer indigener Gruppen registrieren, mit denen es etwa sprachliche Überschneidungen gibt. So sind sie sogar zusätzlich vom Verlust ihrer kulturellen Identität bedroht, indem sie diese leugnen und so versuchen, die behördlichen Hindernisse zu umgehen.

Für die ethnische Gruppe der Maragoli etwa bedeutete die Einführung von Ausweispapieren, dass sie sich noch mehr Sorgen um ihre Ausgrenzung machen mussten. Obwohl ihre Wanderungen in der Vergangenheit nicht im Detail dokumentiert sind, wird angenommen, dass sie in drei Migrationswellen im 18. und 19. Jahrhundert nach Uganda kamen und seitdem in der westugandischen Region Bunyoro leben. Ende der 1990er-Jahre mussten sie erfahren, dass sie im dritten Verfassungsanhang nicht genannt sind. Seit der Massenregistrierungskampagne haben sie ihren Kampf um die Aufnahme in die Liste verstärkt. Verschiedene Regierungsstellen, bei denen sie Petitionen eingereicht hatten, bestätigten, dass sie tatsächlich die Kriterien für den Stichtag 1926 erfüllen und in den dritten Anhang aufgenommen werden sollten. Die Kommission zur Überprüfung der Verfassung sollte diese Petition bearbeiten. Sie hat ihre Arbeit aber noch immer nicht aufgenommen.

Eine weitere, im dritten Verfassungsanhang nicht berücksichtige Gruppe sind die Benet im Osten Ugandas. Wie die Maragoli sahen auch sie sich gezwungen, sich als Angehörige einer anderen indigenen Gemeinschaft registrieren zu lassen, um in den Genuss grundlegender Rechte oder staatlicher Leistungen zu kommen. Darüber hinaus haben die Benet Probleme beim Zugang zu ihrem historisch angestammten Land. Das Gebiet, in dem sie leben, ist heute Teil des Mount-Elgon-Nationalparks, eines Wildreservats. Durch eine Umsiedlungsaktion 1983 auf die tiefer gelegenen Hänge des Mount Elgon wurde ein großer Teil der Benet landlos oder zumindest von Vertreibung bedroht. 2005 entschied der Oberste Gerichtshof, dass die Benet als ursprüngliche Bewohner*innen des Gebietes Zugang zu ihrem Land erhalten sollten. Das Urteil, das im Übrigen ebenfalls ihr Recht auf Berücksichtigung in der Verfassung bestätigte, ist aber immer noch nicht umgesetzt.


2014 lebten 34,6 Millionen Menschen
in Uganda. Diversität gehört zu
ihren auffälligsten Gemeinsamkeiten

Im Oktober 2019 verpflichtete sich die ugandische Regierung gegenüber dem UN-Flüchtlingshochkommissariat, ethnische Gruppen zu berücksichtigen, die bereits vor 1926 im Land lebten. Im Januar 2020 wurde ein Abgeordneter freigestellt, um einen Vorschlag zu entwerfen, auf dessen Grundlage die Maragoli in den dritten Verfassungsanhang aufgenommen werden können. Doch es bleibt fraglich, ob eine Regelung zur Staatsbürgerschaft jemals umfassend sein kann, wenn sie auf der Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe basiert und keine anderen Kriterien – beispielsweise die Staatsangehörigkeit qua Geburtsort – umfasst.

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Der Artikel wurde im Atlas der Staatenlosen auf Französisch, Englisch und Deutsch veröffentlicht.