Mai 24, 2021

Wer natürliche Lebensräume zerstört, befeuert Pandemien

Jan van Aken

Covid-19 ist eine Pandemie mit Ansage. Seit Jahren warnen Wissenschaftler*innen und UN-Organisationen davor, dass die Zerstörung von Biodiversität und der Ausbruch neuer Infektionskrankheiten Hand in Hand gehen. Pandemien, so die Warnung, können die sehr logische Konsequenz einer fortschreitenden Zerstörung unserer natürlichen Lebensräume sein.


Als ich diese These vor gut einem Jahr, mitten im ersten Lockdown, zum ersten Mal hörte, war ich nicht überzeugt. Es klang zu sehr nach thematischer Trittbrettfahrerei, nach der typischen Tendenz vieler NGOs, über jedes aktuelle Megathema ihre jeweiligen Befürchtungen zu stülpen, nach dem Motto: Ich kämpfe seit Jahren gegen die Abholzung des Regenwaldes, und wenn jetzt in Bergamo Menschen an einem neuen Virus sterben, ist die Abholzung des Regenwaldes schuld. Das hört sich zu simpel an, aber es hat tatsächlich einen sehr wahren Kern.

Ein Blick in die wissenschaftliche Fachliteratur zeigt eine ziemlich eindeutige Faktenlage und einen klaren Zusammenhang zwischen der Zerstörung natürlicher Lebensräume und dem Entstehen von Pandemien. Ein besonders drastisches Beispiel wurde 2017 in Nature Scientific Reports veröffentlicht: Die Wissenschaftler*innen verglichen 27 Ebola-Ausbrüche in Afrika und konnten einen statistisch signifikanten Zusammenhang zu Regenwaldabholzungen in den jeweils vorangegangenen zwei Jahren feststellen.[1]


Dzanga-Ndoki-Nationalpark, Abholzung, Zentralafrikanische Republik. Angrenzend an die Schutzgebiete sind Abholzung und Landnutzungskonflikte ein großes Thema. Foto: https://www.grida.no/resources/1520

Die Mechanismen dahinter können recht vielfältig sein. Im Falle von Ebola verkleinert sich durch die Abholzung vermutlich der Lebensraum der tierischen Zwischenwirte des Virus‘. So eng zusammengedrängt erhöht sich die Virusverbreitung und die Infektionsrate der Zwischenwirte. Zudem wird durch Abholzungen die Grenze zwischen Menschen und Zwischenwirten – sprich die Waldgrenze – deutlich verlängert und damit durchlässiger. Es kommt zu mehr Kontakten mit stärker infizierten Tieren, ein Ausbruch wird deutlich wahrscheinlicher.

Einen ähnlichen Mechanismus zeigte die wissenschaftliche Arbeit eines Forschungsteams der Universität Ulm zu Fledermäusen in Mittelamerika. Untersucht wurde ein Virus, das dem menschlichen Hepatitis B Virus sehr ähnlich ist und von Fledermäusen übertragen wird. Der Befund: Die Verkleinerung des natürlichen Lebensraums erhöht die Infektionswahrscheinlichkeit, Fledermäuse in Gebieten mit niedrigerem Waldanteil hatten deutlich höhere Befallsraten.

Ein anderer Mechanismus liegt darin, dass bestimmte Tierarten, die Krankheitserreger übertragen – zum Beispiel Mücken – von der Abholzung des Regenwaldes profitieren, weil sie sich deutlich besser an die Zerstörung anpassen können. Die Mücken breiten sich in kurzer Zeit massiv aus und die Viren werden entsprechend leichter und häufiger auf Menschen übertragen.

All das ist keine neue Erkenntnis. Bereits 2013 richtete die deutsche Leibniz-Gemeinschaft in Berlin einen Kongress aus mit dem schönen Titel „Biodiversität – die natürliche Gesundheitsvorsorge“.[2] 2015 veröffentlichten WHO und CBD (Convention on Biological Diversity) einen gemeinsamen Bericht zu „Biodiversität und menschlicher Gesundheit“.[3] In dem kommen die UNO-Expert*innen zu einem sehr deutlichen Schluss:

„Die Zerstörung eines Ökosystems kann zu einem Verlust an Biodiversität und einem erhöhten Risiko von Infektionskrankheiten führen (…) Biodiversität kann ein Schutzfaktor gegen eine Infektionsübertragung sein, und der Erhalt von Ökosystemen könnte helfen, den Kontakt mit infektiösen Erregern zu reduzieren.“[4]

Der Bericht bezeichnet Veränderungen in der Landnutzung als einen der wichtigsten Treiber für das Auftreten neuer Krankheiten bei Menschen.

In die gleiche Kerbe schlug 2019 der „Weltbiodiversitätsrat“ IPBES, der – ähnlich wie IPCC in Klimafragen – Wissenschaftler*innen und Regierungen aus aller Welt zusammenbringt, um über den (alarmierenden) Rückgang der Biodiversität in der Welt zu beraten. In ihrer Zusammenfassung für Politiker*innen schrieben sie, wenige Wochen vor dem Ausbruch von Covid-19: Neue Infektionskrankheiten können durch menschliche Aktivitäten wie Abholzungen oder die Fragmentierung von Habitaten verstärkt werden.[5] 

Die Naturzerstörung ist die Krise hinter und zeitlich zugleich vor der Coronakrise. Ja, sehr wahrscheinlich hat diese Pandemie einen sehr menschlichen Ursprung – aber eben nicht in einem Labor, wie vielerorts im Westen gemunkelt wird, sondern in Motorsägen und Planierraupen. Zoonosen treten immer häufiger auf, wenn die angestammten Habitate der Tiere zerstört werden und natürliche Abgrenzung nicht mehr möglich ist.

Selbst im Herzen des Kapitalismus ist diese Erkenntnis mittlerweile angekommen. Kurz nach dem Beginn der Covid-19 Pandemie, im März 2020, hieß es auf der Webseite des World Economic Forum unmissverständlich: „The increasing frequency of disease outbreaks is linked to climate change and biodiversity loss.”[6] Das sagen jene Leute, die erst die Motorsägen und Planierraupen losgeschickt haben und sich dann in der Abgeschiedenheit der Schweizer Alpen vor Ansteckung schützen.

Regenwälder werden nicht aus Spaß, sondern aus knallharten Profitinteressen abgeholzt – hinter den Motorsägen steht das Kapital. Es ist die Fleischmafia, die quadratkilometerweise den Amazonas für billige Futtermittel plattmacht, es sind die Unilevers und Nestlès dieser Welt, die für billiges Palmöl halb Südostasien kahlschlagen – und dann noch behaupten, sie täten es für uns, weil wir nach diesen Produkten verlangen.

Der Kampf gegen die nächste Pandemie wird nicht nur um bessere Gesundheitssysteme und gerechtere Verteilung von Impfstoffen geführt, sondern auch gegen eine kapitalistische Produktionsweise, die von der Zerstörung natürlicher Lebensräume lebt, Biodiversität zerstört und uns am Ende Viren beschert, die unter anderen Bedingungen im Tierreich geblieben wären, anstatt uns in Pandemien zu treiben. 


[1] https://www.nature.com/articles/s41598-017-14727-9

[2] https://www.leibniz-gemeinschaft.de/ueber-uns/neues/presse/pressemitteilungen/pressemitteilungen-single/newsdetails/biodiversitaet-die-natuerliche-gesundheitsvorsorge-2-internationale-biodiversitaetskonferenz-in-ber.html

[3] https://www.cbd.int/health/SOK-biodiversity-en.pdf

[4] Ecosystem degradation may lead to both biodiversity loss and increased risk from infectious diseases (…) … biodiversity may serve as a protective factor for preventing transmission, and maintaining ecosystems may help reduce exposure to infectious agents.

[5] https://ipbes.net/sites/default/files/2020-02/ipbes_global_assessment_report_summary_for_policymakers_en.pdf Seite 22

[6] https://www.weforum.org/agenda/2020/03/biodiversity-loss-is-hurting-our-ability-to-prepare-for-pandemics/

Jan van Aken ist ein deutscher Aktivist für Greenpeace und Politiker (Die Linke). Er war von 2009 bis 2017 Mitglied des Deutschen Bundestages. Er ist Experte für Rüstungs-, Agrar- und Gesundheitspolitik.