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Warum wählte die Stiftung im Jahr 1999 den Namen Rosa Luxemburgs für sich? Eine Spurensuche
Es begann mit einem Fehlstart. Noch bevor die Stiftung die Arbeit aufnahm, mussten die Kopfbögen eingestampft werden. Die Bundesregierung empfand keine Freude an unserem Namen «Bundesstiftung Rosa Luxemburg», den wir stolz auf der Mitgliederversammlung am 25. Juni 1999 beschlossen hatten. Nicht an der Namenspatronin rieb man sich, es war die «Bundesstiftung» – ein Titel, der Stiftungen des Bundes vorbehalten ist.
Vorausgegangen waren leidenschaftlich geführte Debatten um den Namen; Leidenschaft wohnt jedem Zauber eines Neuanfangs inne. Auch bei den Grünen kullerte damals zwischen «Regenbogen» und «Buntstift» noch vieles hin und her, sie waren erst gerade dabei, bei Böll anzulangen. Wir, unwillig, die alten durch einen neuen Götzen zu ersetzen, sondierten ebenfalls im Unterholz des «Neutralen». Bis jemand so genervt war, dass er etwas bösartig «Rotstift» vorschlug …
Damit war dieser Ansatz wieder vom Tisch. Also zurück: Karl Marx, Marx/Engels, Clara Zetkin, Larissa Reissner, Karl Liebknecht, Paul Levi – und so im Kreis. Die einzige, auf die sich alle hätten verständigen können, war «vergeben»: Schon 1991 hatte der früh verstorbene Gustav Seeber zusammen mit seinen Freunden und Genossen den Rosa-Luxemburg-Verein Leipzig (heute Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen) gegründet. Ohne Michael Bries hartnäckiges Insistieren, dass das für ein Zurückstehen kein hinreichender Grund sei, wäre es wohl nichts mit Rosa Luxemburg geworden. Wir ständen heute ein Stück blasser da.
Doch warum ausgerechnet eine Person, die bis heute die politische Landschaft polarisiert? Rosa Luxemburg (1871-1919) gilt den einen als bolschewistische Terroristin, den anderen als Ikone. Obwohl viele ihrer Schriften wieder aufgelegt wurden, wird ihr Denken und Wollen heute kaum ernsthaft rezipiert. Statt dessen halten sich zäh die Klischees. Den Marxisten-Leninisten – die für Rosa Luxemburg extra einen zu verteufelnden «Luxemburgismus» erfanden – wie der politischen Rechten sind ihre Demokratieauffassungen ein Gräuel. Diese Frau erstrebte eine Gesellschaft, in der die politische Freiheit und Gleichheit nicht abgeschafft, sondern um die soziale Freiheit und Gleichheit ergänzt werden sollte – eine Forderung, die bis heute uneingelöst ist. Demokratie galt Rosa Luxemburg als die entscheidende Voraussetzung für eine nachhaltige Veränderung der Gesellschaft in Richtung humanen Zusammenlebens.
Rosa Luxemburg wird oft für eine Deutsche gehalten – kaum jemand weiß, dass sie Polin war. Selbst viele ihrer Briefe werden in andere Sprachen aus dem Deutschen übertragen, obwohl sie in Polnisch verfasst wurden. Rosa Luxemburg stammte aus einer assimilierten ostjüdischen Familie aus Zamość im russisch besetzten Teil Polens – die Nationalsozialisten, die die Stadt in «Himmlerstadt» umbenannten, versuchten nach 1939, dieses polnische Gebiet zum ersten «rein germanischen Siedlungsraum» umzumorden …
Rosa Luxemburg war eine erfolgreiche Journalistin, eine glänzende Rednerin – auf Polnisch wie auf Deutsch – sowie eine oft verkannte Wirtschaftswissenschaftlerin, deren Akkumulationsanalyse gerade heute eine überraschende Weitsicht beweist. Aber all das hatte sie gar nicht werden wollen. Aus der Stadt ihrer Kindheit und Jugend, Warschau, war sie im Jahre 1890 in die Schweiz gefahren – um Botanik zu studieren. Lediglich in der Schweiz war damals Frauen eine höhere Ausbildung zugänglich. Doch dann kam Rosa Luxemburg die Liebe dazwischen, zu einem Revolutionär aus Vilnius, der sich als Emigrant in die Schweiz gerettet hatte. Dieser Leo Jogiches brachte Rosa Luxemburg endgültig in politische Zusammenhänge.
1905, ihre Beziehung zu Jogiches war längst völlig zerrüttet, schrieb sie ihm voll Bitterkeit: «Insbesondere verhasst wurde mir auch die ganze ‹Politik›, derentwegen ich … die Briefe von Vater und Mutter wochenlang nicht beantwortete, nie für sie Zeit hatte wegen dieser weltbewegenden Aufgaben (und das dauert bis zum heutigen Tage an), und Du wurdest mir verhasst als derjenige, der mich für immer an diese verfluchte Politik geschmiedet hat.» Da lebte sie schon sieben Jahre in Deutschlands Hauptstadt Berlin. Am 13. März 1898 war sie siebenundzwanzigjährig in das Land eingereist, in dem sie die meiste Zeit, darunter 48 Monate Haft, verbrachte, und in dem sie – im 48. Lebensjahr stehend – ermordet wurde.
Rosa Luxemburg hatte sich in Zürich in den Zug gesetzt, um in der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands jene politische Heimat zu finden, die ihr zu Hause verweigert war; denn dort stand sie auf den Fahndungslisten. Die SPD war angetreten, für die Emanzipation von allen Verhältnissen zu kämpfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist – für Verhältnisse also, in denen die Bedürfnisse nicht weiter der profitorientierten Produktion unterworfen sind, sondern die Produktion auf die Bedürfnisbefriedigung zurückgeführt wird.
Doch schon nach sieben Jahren starb, nach einem wahrlich nicht ohne Genuss gelebten Honeymoon, ihre Beziehung zur Partei Bebels und Liebknechts, der damals bedeutendsten sozialistischen Vereinigung der Welt, einen langsamen, aber unausweichlichen Tod. Die Beerdigung fand an dem Tag statt, an dem die SPD-Reichstagsfraktion den Krediten für den Massenmord auf den Schlachtfeldern des – nach dem amerikanischen Bürgerkrieg – zweiten »modernen Krieges« zustimmte. Man schrieb den 4. August 1914.
Von Lenin und seiner Anhängerschaft unterschied sich Rosa Luxemburg vor allem in der Frage, welche Rolle die Avantgarde, also die Partei, spielen sollte. Für Lenin war die Klasse, die angeblich berufen sei, jegliche Ausbeutung und Unterdrückung zu überwinden, unfähig, ihre historischen Aufgaben zu erkennen, und deshalb bedürftig, von einer Partei geführt und erzogen zu werden. Das lief letztlich auf eine Neuauflage der Fürstenerziehung hinaus, hier nicht eines Einzelnen, sondern einer sozialen Gruppe, an der schon die Aufklärer gescheitert waren.
Für Rosa Luxemburg hingegen entstand Sozialismus nicht auf Parteitagen oder in Parteizirkeln, sondern in zunehmend selbstbewusster geführten Kämpfen mit Erfolgen und, mehr noch, Niederlagen, durch die ein gemeinsamer Willen zur dauerhaften Veränderung der Gesellschaft entstehen sollte. Die Partei sollte Ausdruck dieses Willens sein und als eine Art Clearingstelle die Erfahrungen systematisieren und der Bewegung bewusst machen. Die Partei sollte der Klasse Vorschläge machen, der Klasse aber, den Betroffenen also, die Entscheidung überlassen – selbst auf die Gefahr einer Ablehnung hin, die es in jedem Fall zu akzeptieren galt.
Denn nach Rosa Luxemburgs Auffassung konnte nicht die Partei den Sozialismus erkämpfen, sondern nur die gesamte Klasse. Für sie existierte die Klasse als Bewegung – oder gar nicht. Wer an der Bewegung der Klasse teilnahm, gehörte dazu – egal, wo seine Wiege gestanden hatte und er sein Brot verdiente.
Im Jahr 1922, in seiner Einleitung zur bis heute oft missverstandenen «Russischen Revolution», erklärte Paul Levi, warum für Rosa Luxemburg die Freiheit des Andersdenkenden so wichtig war und sie von dieser Freiheit niemanden ausschließen wollte. Paul Levi, seit 1913 einer ihrer Rechtsanwälte, 1914 mit ihr einige Monate in einer Liebesbeziehung verbunden, wurde nach Rosas Ermordung und nach der Ermordung ihres ersten Mannes, Leo Jogiches (im März 1919 im Moabiter Untersuchungsgefängnis), zum Vorsitzenden der am 1. Januar 1919 gegründeten Kommunistischen Partei Deutschlands. 1921 wurde er aus der sich bolschewisierenden KPD ausgeschlossen.
In seinem Vorwort zur von ihm 1922 erstmals veröffentlichten «Russischen Revolution», der bekanntesten und politisch wichtigsten Arbeit Rosa Luxemburgs, schrieb Levi: «Sie wußte den Kampf als Kampf, den Krieg als Krieg, den Bürgerkrieg als Bürgerkrieg zu führen. Aber sie konnte sich den Bürgerkrieg nur vorstellen als freies Spiel der Kräfte, in dem selbst die Bourgeoisie nicht durch Polizeimaßnahmen in die Kellerlöcher verbannt wird, weil nur im offenen Kampf der Massen diese wachsen, sie die Größe und Schwere ihres Kampfes erkennen konnten. Sie wollte die Vernichtung der Bourgeoisie durch öden Terrorismus, durch das eintönige Geschäft des Henkens ebenso wenig, als der Jäger das Raubzeug in seinem Walde vernichten will. Im Kampf mit diesem soll das Wild stärker und größer werden. Für sie war die Vernichtung der Bourgeoisie, die auch sie wollte, das Ergebnis der sozialen Umschichtung, die die Revolution bedeutet.»
Die Jüdin, Polin und Sozialistin, die jeglichen Terror verabscheute, starb durch die Hand rechter Terroristen in deutscher Heeresuniform am 15. Januar 1919 im Berliner Tiergarten.
Dieser Text wurde erstveröffentlicht in: Dagmar Enkelmann / Florian Weis (Hrsg.): «Ich lebe am fröhlichsten im Sturm» 25 Jahre Rosa-Luxemburg-Stiftung: Gesellschaftsanalyse und politische Bildung 224 Seiten | Halbleinenband | mit Fotos | 2015 | EUR 16.80 ISBN 978-3-89965-678-7 Bestellbar bei VSA:Verlag