November 1, 2020

Rosa Luxemburg in der deutschen Revolution

Uwe Sonnenberg, Jörn Schütrumpf

Eine Chronik



Über die Revolutionstage 1918/19 schrieb Mathilde Jacob, die engste Vertraute von Rosa Luxemburg und Leo Jogiches: «Rosa tat nichts, ohne seinen Rat gehört zu haben, sie hatten fast täglich politische Aussprachen miteinander …» Ursprünglich waren Rosa Luxemburg und Leo Jogiches auch privat liiert gewesen, politisch blieben sie bis zu Rosa Luxemburgs Ermordung am 15. Januar 1919 nicht nur ein Tandem, sondern auch eine Ausnahme: Unter den führenden Köpfen der Spartakusgruppe waren beide die einzigen mit Erfahrungen aus einer Revolution. 1905/06 hatten sie sich im russisch besetzten Teil Polens in die Auseinandersetzungen gestürzt und Analysen des Erlebten angefertigt.

Nach Deutschland war davon allerdings nur Rosa Luxemburgs Forderung nach dem Instrument des Massenstreiks als politischer Waffe, nicht zuletzt zur Abwendung von Kriegen, gelangt. Alle anderen die Revolution bilanzierenden Texte waren auf Polnisch erschienen und in den postrevolutionären Jahren der Depression selbst von den dortigen Anhängern Rosa Luxemburgs kaum zur Kenntnis genommen worden.

Rosa Luxemburg wusste, dass dann, wenn sich die Kräfte des ersten Ansturms erschöpfen, jede Revolution unvermeidbar einen Rückschlag erfährt. In der Analyse der russischen Revolution von 1905/06 war sie zu der Auffassung gelangt, dass dieser Rückschlag umso geringer ausfällt, desto weiter die Revolution von einer politischen zu einer sozialen Umwälzung vorangetrieben wird. Die konterrevolutionäre Seite sollte so weit unter Druck gesetzt werden, dass sie einen sicheren Kompromiss – mit Rechtsstaat und parlamentarischer Demokratie – einem unsicheren Triumph vorzog.

Deshalb beabsichtigte Rosa Luxemburg, mit dem am 11. November 1918 neu begründeten Spartakusbund die deutsche Revolution maximal in Richtung Sozialismus zu treiben, quasi also der konterrevolutionären Seite «die Instrumente zu zeigen». Doch in der Praxis blieb das alles graue Theorie; die Wirklichkeit sah anders aus: Das Kräfteverhältnis innerhalb der Gesellschaft stand gegen jegliches Weitertreiben der Revolution. Aus einer Arbeiterschaft, die wenige Wochen zuvor eher willig als unwillig einem Militärdiktator wie Erich Ludendorff gefolgt war, war nicht über Nacht eine Anhängerschaft des Sozialismus geworden.

Rosa Luxemburg wusste um die politischen Kräfteverhältnisse, ein kurzfristiger Übergang zum Sozialismus erschien ihr daher illusorisch. An diesem Punkt ist sie zumeist missverstanden worden.

Als Rosa Luxemburg am 8. November 1918 die Nachricht über ihre Haftentlassung erhielt, hatte sie noch 68 Tage zu leben. In dieser Zeit gelang es ihr kaum noch, Einfluss auf die Revolution zu nehmen, während sie, der Spartakusbund und später die KPD mehr und mehr zur Projektionsfläche wurden; zu einem halluzinierten Bolschewiki-Ersatz aller politischen Lager, die um jeden Preis zu verhindern suchten, dass sich die Novemberrevolution in Richtung einer sozialen Revolution weiterbewegte. Die Hegemonie in der Revolution lag von Anfang an in den Händen der SPD-Führung und blieb dort, bis das bürgerliche Deutschland sich auf die neue Situation eingestellt hatte und es der SPD nicht mehr bedurfte. Rosa Luxemburg blieb nichts weiter übrig, als vom ersten Tag an vor dieser Entwicklung der Revolution zu warnen.

Die vorliegende Chronik ist aus den Aktivitäten der Rosa-Luxemburg-Stiftung Berlin rund um den 100. Jahrestag der Novemberrevolution hervorgegangen. Über Social Media und auf einer eigenen Webseite konnte jeden Morgen auf Deutsch und Englisch nachgelesen werden, was tagesaktuell vor 100 Jahren geschah. Die Einträge sind hier erstmals zu einem Text zusammengefasst. Erzählt werden die letzten Tage im Leben von Rosa Luxemburg entlang von zwei Strängen:

  • Die private und öffentliche Rosa Luxemburg mit ihren Begegnungen und in ihren Auftritten, anhand von Primärquellen und Spuren aus der Sekundärliteratur.
  • Ihr Wirken eingebettet in das allgemeine Revolutionsgeschehen, mit dem Zentrum Berlin – wobei weder der Anspruch verfolgt wird, das Revolutionsgeschehen umfassend darzustellen, noch eine tiefere Interpretation der einzelnen Ereignisse zu bieten.

Für die gedruckte Ausgabe wurden die einzelnen Einträge durchgesehen und zum Teil stilistisch leicht angepasst. Für ihre große Hilfe bei der Erstellung der Chronik möchten wir uns ganz herzlich bei Nora Weiler, Alina Voinea, Hannah Wagner und Heike Schmelter sowie dem Karl Dietz Verlag für die zur Verfügung gestellten Bilder bedanken.

Uwe Sonnenberg, Jörn Schütrumpf
Berlin, September 2020