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Fallstudien zu Union-Busting privater Gesundheits- und Pflegekonzerne und gewerkschaftlicher Gegenwehr
Lucy Redler ist Diplom-Sozialökonomin (Schwerpunkt: Gesundheitspolitik) und war von 2016 bis 2021 im Parteivorstand DIE LINKE verantwortlich für die Themen Pflege und Gesundheit. Sie ist gewerkschaftlich und in der Solidaritätsarbeit für Krankenhausbeschäftigte aktiv, unter anderem in der Kampagne zur Unterstützung der Arbeitskämpfe für mehr Personal und bessere Bezahlung am Berliner Universitätsklinikum Charité.
Der Ausbruch der weltweiten Corona-Krise hat das Thema Gesundheit schlagartig ins Zentrum der gesellschaftlichen Aufmerksamkeit gerückt. Die eigene, aber auch die Verletzbarkeit sogenannter Risikogruppen durch gesundheitliche Gefährdungen wurde quasi über Nacht zum bestimmenden Thema in Politik und Medien sowie von Gesprächen mit Nachbar*innen oder Freund*innen. Vorgedrungen ist aber auch die Erkenntnis, dass gesundheitliche Gefährdungen wesentlich mit den Kapazitäten von Gesundheitssystemen zusammenhängen – etwa damit, ob genügend Schutzausrüstungen vorhanden sind, vor allem aber damit, ob Krankenhäuser und Pflegeheime mit ausreichenden Bettenkapazitäten und ausreichend Personal ausgestattet sind, um eine «gute» Versorgung zu gewährleisten. Schnell war klar, dass es aufgrund des chronischen Personalmangels an Pflegekräften fehlt, um ein erhöhtes Aufkommen an Patient*innen bewältigen zu können. Aber auch der Mangel an materiellen Ressourcen – etwa Beatmungsgeräten oder Laborressourcen – ist sichtbar geworden. Die Probleme und krisenhaften Entwicklungen, die sich in den letzten Jahren in Krankenhäusern und Pflegeheimen vollzogen haben, zeigen sich derzeit wie unter einem Brennglas. In der aktuellen Situation werden wir Zeug*innen davon, wie Kostendruck sowie permanente Einsparungen und Kürzungen im Krankenhaus- und Gesundheitssektor überall auf der Welt Menschenleben kosten. Dort, wo an Ausrüstung gespart wird, Kapazitäten heruntergefahren werden und vor allem massiv Personal abgebaut wurde, sind nicht nur die Arbeitsbedingungen katastrophal, sondern droht auch die Gesundheitsversorgung zusammenzubrechen: in der Krise ebenso wie im alltäglichen Normalbetrieb.
Kontrastieren wir diese traurige Wahrheit mit einer anderen Realität, wird deutlich, wo die Ursachen hierfür liegen: Für das Jahr 2019 gaben Gesundheitskonzerne wie Orpea, Korian oder Fresenius Gewinne in Millionen-, teilweise in Milliardenhöhe an. Während die Gesundheitsversorgung auf Effizienz und Kostensenkungen getrimmt wird, verzeichnen multinationale und börsennotierte Konzern Profite, die sie an ihre Aktionär*innen weiterleiten. Die gefährlichen Einsparungen im Pflege- und Gesundheitswesen, wie sie auch in der aktuellen Krise deutlich geworden sind, resultieren also aus dem «Geschäft mit der Gesundheit». Über Jahre wurden Gesundheits- und Pflegeleistungen zu einem lukrativen Markt umstrukturiert, auf dem private Unternehmen nunmehr mit zum Teil äußerst fragwürdigen Methoden um den größten Anteil am Kuchen konkurrieren. Genau diesen Zusammenhang beleuchtet die vorliegende Studie: Anhand der Unternehmensstrategien von vier wichtigen, weltweit agierenden Gesundheitskonzernen wird gezeigt, wie deren Geschäftsmodell deutlich zulasten der Beschäftigten geht und wie die Konzerne systematisch versuchen, gewerkschaftliche Strukturen zurückzudrängen, zu zerschlagen oder erst gar nicht entstehen zu lassen. Die Studie zeigt aber auch, dass die Belegschaften dies nicht kampflos geschehen lassen. Der wachsende Einfluss von privaten Unternehmen und die marktförmige Reorganisierung des öffentlichen Gesundheitswesens werden von Gewerkschaften und Beschäftigten vielmehr als zentrales gesellschaftliches Konfliktfeld begriffen.
Die vorliegende Studie gibt nicht nur Einblicke in Kämpfe um Gesundheit. Sie zeigt vielmehr auch die Notwendigkeit auf, Privatisierungs- und Kommerzialisierungstendenzen umzukehren und das Gesundheitswesen wieder zu einer öffentlich finanzierten, demokratischen und sozialen Infrastruktur zu machen. Zu verstehen, wie die Geschäftsmodelle der großen Player auf dem Gesundheits- und Pflegemarkt funktionieren, macht es möglich, die richtigen An- und Eingriffspunkte zu identifizieren, um weitere Profite mit der Gesundheit verhindern zu können. Mit der Studie wollen wir dazu ermuntern, in gewerkschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Auseinandersetzungen für eine bedarfsgerechte und demokratisch kontrollierte Finanzierung und Organisierung der Gesundheitsversorgung zu streiten.
Julia Dück, Referentin für soziale Infrastruktur und verbindende Klassenpolitik in der Rosa-Luxemburg-Stiftung
Berlin, November 2020
Inhalt
Zusammenfassung
Einleitung
1 Der Gesundheits- und Pflegesektor als lukrative Kapitalanlage
1.1 Ökonomisierung des Gesundheitswesens
1.2 Demografischer Wandel (Trend 1)
1.3 Marktkonzentration durch Fusionen und Übernahmen (Trend 2)
1.3.1 Krankenhäuser
1.3.2 Altenpflege
1.4 Einstieg von Private-Equity-Gesellschaften in den Gesundheitsmarkt (Trend 3)
2 Union-Busting und Union-Avoidance
2.1 Definition und Herkunft des Begriffs
2.2 Maßnahmen der Union-Buster
Vier Fallstudien
3 Orpea: Pflegekonzern mit angeschlossener Immobilienabteilung
3.1 Konzernprofil
3.2 Dominante Geschäftsstrategien
3.3 Löhne und Arbeitsbedingungen
3.4 Union-Busting bei Orpea
3.4.1 Frankreich: Spionage und Vertuschung
3.4.2 Deutschland: Brutale Praktiken bei Celenus in Bad Langensalza
3.4.3 Polen: Gewerkschaften vom ersten Tag an bekämpfen
4 Korian: Pflegekonzern auf Renditejagd in Europa
4.1 Konzernprofil
4.2 Dominante Geschäftsstrategien
4.3 Löhne und Arbeitsbedingungen
4.4 Union-Avoidance bei Korian
4.4.1 Überblick zur Situation in Belgien, Frankreich und Italien
4.4.2 Deutschland: Betriebsräte kleinhalten und Tarifverträge vermeiden
5 Fresenius: Mit fragwürdigen Praktiken von Bad Homburg in die Welt
5.1 Konzernprofil
5.2 Dominante Geschäftsstrategien
5.3 Löhne und Arbeitsbedingungen
5.4 Union-Busting bei Fresenius
5.4.1 Gewerkschaftsbekämpfung bei Fresenius Medical Care
5.4.2 Gewerkschaftsfeindliche Maßnahmen bei Fresenius Helios in Deutschland
6 Ameos: Schweizer Klinikbetreiber in mehrheitlichem Eigentum einer Private-Equity-Gesellschaft
6.1 Konzernprofil
6.2 Dominante Geschäftsstrategien
6.3 Löhne und Arbeitsbedingungen
6.4 Union-Busting bei Ameos
6.4.1 Umstrukturierung als Methode und gezielte Einschüchterung in Hildesheim 2016
6.4.2 Kündigungen und Drohungen mit Betriebsschließungen in Sachsen-Anhalt 2019/20
7 Vergleichende Bewertung: Gemeinsame Trends und Zusammenhänge
7.1 Dominante Geschäftsstrategien
7.2 Löhne und Arbeitsbedingungen
7.3 Union-Busting und Union-Avoidance
Fazit: Herausforderungen und Ansätze für gewerkschaftliche Gegenstrategien