Dezember 1, 2021

Die Leichtigkeit des Virus in der Impfstoff-Apartheid

Nicoletta Dentico

Omicron. Johannesburg hat die Genomsequenz der Variante sofort mit der Wissenschaft und dem Gewissen geteilt. Eine Geste der epidemiologischen Verantwortung, aber auch von seltener politischer Kohärenz. Es ist bedauerlich, dass Europa zusammen mit der Schweiz und den USA auf die südafrikanische Transparenz mit einer sofortigen Sperrung aller Flüge reagiert hat.


Die Fähigkeit des Coronavirus, nach zwei Jahren neue Ausnahmezustände zu erzeugen, hat eine spöttische symbolische Bedeutung. Diesmal war die 12. Interministerielle Konferenz (CM12) der Welthandelsorganisation (WTO) an der Reihe, die wegen der in den letzten Tagen in Südafrika entdeckten Variante Omicron B.11.529 eilig ausgesetzt wurde.

Am Vorabend des interministeriellen Treffens, das für die Zukunft der WTO von entscheidender Bedeutung ist, blockierten die Erreger alles und verschoben das Treffen auf einen späteren Zeitpunkt. In diesem Tauziehen zwischen der Natur und den menschlichen Angelegenheiten steckt eine große Pädagogik. Die Natur hat immer die Nase vorn, weil sie stärker ist.

Aber die Menschen haben diesen Beweis noch nicht verinnerlicht. Omicron ist ein Name, mit dem wir lernen müssen, umzugehen. Das südafrikanische Gesundheitsministerium erklärte, die Variante weise „eine ungewöhnliche Konstellation von Mutationen“ auf: mehr als 30 im Spike-Protein, so Prof. Tulio de Oliveira, Direktor des Centre for Epidemic Response and Innovation.

Die Entdeckung ist das Ergebnis hervorragender Forschungs- und Genomsequenzierungsarbeiten, die in Zusammenarbeit mit dem Nationalen Institut für Infektionskrankheiten und einigen privaten Labors an 22 positiven Fällen im Lande durchgeführt wurden. Es handelt sich um eine Variante, die sich laut De Oliveira stark von den bisherigen Varianten unterscheidet.

„Das Mutationsprofil deutet darauf hin, dass der Erreger in der Lage ist, die Impfstoffimmunität zu umgehen und die Übertragbarkeit zu erhöhen. In Südafrika machten sie sich sofort an die Arbeit, um die Auswirkungen zu verstehen. Auf dem Flug von Johannesburg nach Amsterdam wurden mehrere Personen positiv getestet. Es wurden Fälle in Belgien und Israel festgestellt. Das Virus findet Trost in der Dummheit der Impfstoff-Apartheid, die diese Zeit kennzeichnet. Südafrika ist eines der wenigen afrikanischen Länder mit einem Gesundheitssystem, das allerdings von einer recht aggressiven Rolle der Privatwirtschaft flankiert wird. Es verfügt über beträchtliche wissenschaftliche Kapazitäten, die im Zuge der parallelen Epidemien entwickelt wurden, die das Land seit Jahrzehnten plagen: das HIV/Aids-Virus und die Tuberkulose, die sich hier in den hartnäckigsten Formen der Resistenz gegen bestehende Therapien manifestiert.

„Das Mutationsprofil deutet darauf hin, dass der Erreger in der Lage ist, die Impfstoffimmunität zu umgehen und die Übertragbarkeit zu erhöhen. In Südafrika machten sie sich sofort an die Arbeit, um die Auswirkungen zu verstehen. Auf dem Flug von Johannesburg nach Amsterdam wurden mehrere Personen positiv getestet. Es wurden Fälle in Belgien und Israel festgestellt. Das Virus findet Trost in der Dummheit der Impfstoff-Apartheid, die diese Zeit kennzeichnet. Südafrika ist eines der wenigen afrikanischen Länder mit einem Gesundheitssystem, das allerdings von einer recht aggressiven Rolle der Privatwirtschaft flankiert wird. Es verfügt über beträchtliche wissenschaftliche Kapazitäten, die im Zuge der parallelen Epidemien entwickelt wurden, die das Land seit Jahrzehnten plagen: das HIV/Aids-Virus und die Tuberkulose, die sich hier in den hartnäckigsten Formen der Resistenz gegen bestehende Therapien manifestiert.

Aber das Land hat einen langen Weg zurückgelegt, seit vor 20 Jahren 35 % der Bevölkerung HIV-positiv waren. Die südafrikanische HIV/Aids-Geschichte – mit so rauen Passagen wie der Klage der 39 Pharmaunternehmen gegen Nelson Mandelas Arzneimittelgesetz – hat das alte institutionelle und hierarchische Gesundheitsnarrativ auf den Kopf gestellt. Sie politisierte das Thema auf globaler Ebene und übertrug HIV/Aids-Patient*innen eine führende Rolle: Ihr Engagement für den Zugang zu Behandlungen machte die unmenschliche Macht der WTO-Handelsabkommen deutlich, angefangen bei Patentmonopolen. Seitdem hat sich Südafrika auf der internationalen Bühne mit einer Vision der Gesundheitsversorgung etabliert, die es zu einem der Verfechter des Rechts auf Gesundheit gemacht hat.


Foto: Stock Foto

Johannesburg hat die Genomsequenz der Omicron-Variante sofort mit Wissenschaft und Gewissen geteilt. Eine Geste der epidemiologischen Verantwortung, aber auch von seltener politischer Kohärenz.

Südafrika ist bekanntlich das Land, das im Oktober 2020 gemeinsam mit Indien bei der WTO die Anwendung einer Klausel im internationalen Handelsrecht vorgeschlagen hat, die die Aussetzung von Monopolen für geistiges Eigentum vorsieht (IP Waiver): Der Antrag, der inzwischen international breite Zustimmung findet, zielt darauf ab, den Zugang zu medizinischem Wissen und die Nutzung der oft mit öffentlichen Mitteln entwickelten Wissenschaft zu fördern, damit die Produktionskapazitäten im pharmazeutischen Bereich ausgebaut und gestärkt werden können, um die Pandemie zu bewältigen. Nicht nur für Impfstoffe. Dies ist neben der Klima- und der WTO-Reform eines der heißesten Dossiers in den laufenden Handelsverhandlungen.

Südafrika ist auch eines der wenigen Länder des globalen Südens, die den Vorschlag des Präsidenten des Europäischen Rates, Charles Michel, zur Aufnahme von Verhandlungen über einen Pandemievertrag innerhalb der Weltgesundheitsorganisation (WHO) begeistert begrüßt haben. Ein Vorschlag, der überraschenderweise von der Pharmaindustrie und Bill Gates unterstützt wird. Dank des europäischen Drucks beginnt am kommenden Montag eine Sondersitzung der Weltgesundheitsversammlung. Der Pandemievertrag zur Vorbereitung und Reaktion auf künftige Pandemien ist in den internationalen Gesundheitsforen in Genf nicht unumstritten. Für eine Reihe von Regierungen im globalen Süden kommt es zur Unzeit – viele sind mit der Bekämpfung von Infektionen beschäftigt, haben aber nur wenige Ressourcen und keine Impfstoffe – und für andere ist es eine Ablenkung von der hartnäckigen Blockade des WTO-Moratoriums zum geistigen Eigentum durch die Europäische Kommission.

Diese Meinung wird von maßgeblichen Analysten zu diesem Thema geteilt. Schließlich hat sich Europa immer gegen verbindliche Gesundheitsvorschriften innerhalb der WHO ausgesprochen. Die treibende Idee hinter diesem Vertrag ist die Verpflichtung zu einem schnellen Informationsaustausch über Krankheitserreger, zu mehr Zusammenarbeit bei der Überwachung und zu stärkeren Gesundheitssicherheitsregelungen.

Genau das hat Johannesburg getan. Es ist bedauerlich, dass Europa zusammen mit der Schweiz und den USA auf die südafrikanische Transparenz mit einer sofortigen Sperrung aller Flüge reagiert hat. Dies ist ein besorgniserregendes Zeichen für die nicht so sehr wahrnehmbare kolonialistische Ader, die den Bemühungen um den Aufbau der Immunpolitik des Westens nach Covid-19 zugrunde liegt. Die Gesundheitssicherheit muss, wie wir wissen, zum Schutz vor den Armen eingerichtet werden.

aus Il Manifesto vom 28. November 2021

Nicoletta Dentico ist Journalistin und leitende politische Analystin im Bereich globale Gesundheit und Entwicklung. Nach der Leitung von Ärzte ohne Grenzen (MSF) in Italien spielte sie eine aktive Rolle in der MSF-Kampagne für den Zugang zu unentbehrlichen Arzneimitteln. Sie arbeitete als Beraterin für die Weltgesundheitsorganisation und leitet derzeit das globale Gesundheitsprogramm der Society for International Development (SID).