Juli 20, 2021

Die Rolle digitaler Arbeitsplattformen bei der Transformation der Arbeitswelt

Uma Rani

Weltweite Beschäftigung und sozialer Ausblick 2021 (Internationale Arbeitsorganisation)


Die digitale Wirtschaft verändert die Arbeitswelt. Digitale Technologien, die Verfügbarkeit von Cloud-Computing nebst Infrastruktur und die Möglichkeit, schnell und kostengünstig große Datenmengen und Informationen zwischen Einzelpersonen, Unternehmen und Geräten auszutauschen, hat ihren Aufstieg unterstützt. Dies hat zu einer Verbreitung digitaler Plattformen geführt, die eine Reihe von digitalen Dienstleistungen und Produkten anbieten. Diese Veränderungen erstrecken sich auch auf die Arbeitswelt, da digitale Plattformen in verschiedene Wirtschaftszweige eingedrungen sind. Der Ausbruch der COVID-19-Pandemie im März 2020 und die Zunahme der Arbeit im Homeoffice haben das Wachstum und die Auswirkungen der digitalen Wirtschaft auf die Arbeitsmärkte weiter verstärkt.

Dieser Bericht konzentriert sich auf digitale Arbeitsplattformen, die helfen die Instrumente des wirtschaftlichen Austausches neu zu definieren und einen schnellen Austausch von Arbeit, Arbeitspraktiken und der Unternehmenslandschaft mit sich bringen und erhebliche Auswirkungen auf die Arbeitswelt haben. Digitale Arbeitsplattformen sind in der Lage, die besonderen Merkmale der digitalen Wirtschaft zu nutzen, wie z.B. die Asset-Light-Strategie, Netzwerkeffekte, Datafizierung und Mobilität, wodurch sie von jedem Ort aus weltweit über mehrere Rechtsgebiete hinweg operieren können, unabhängig davon, wo ihre Kund*innen, Arbeitskräfte oder Verbraucher*innen ansässig sind. Darüber hinaus hat die Art und Organisation der digitalen Wirtschaft, wie z.B. die Verfügbarkeit von Cloud- Infrastrukturdiensten zu reduzierten Kosten zusammen mit der Verfügbarkeit von Risikokapitalfonds, die Zugangshindernisse verringert und das schnelle Wachstum digitaler Arbeitsplattformen im letzten Jahrzehnt ermöglicht.[1]

Diese Plattformen können in zwei große Kategorien eingeteilt werden: webbasierte Online-Plattformen[2] und ortsbezogene Plattformen.[3] Das Unterscheidungsmerkmal dieser beiden Arten von Plattformen ist, dass Technologie oder digitale Anwendungen verwendet werden, um Arbeiter*innen, Unternehmen oder Kund*innen und Verbraucher*innen zusammenzubringen. Dies ermöglicht es Privatpersonen oder Geschäftskund*innen, neben vielen anderen Aktivitäten, eine Fahrt zu arrangieren, Essen zu bestellen oder eine*n Freiberufler*in für die Entwicklung einer Website oder die Übersetzung eines Dokuments zu finden. Indem sie Unternehmen und Kund*innen mit Arbeiter*innen zusammenbringen, verändern sie Arbeitsprozesse, was Auswirkungen auf die Zukunft der Arbeitswelt hat. Einige der Tätigkeiten auf diesen Plattformen sind nicht neu, sondern wurden bereits vorher und auch immer noch auf dem traditionellen Arbeitsmarkt ausgeführt.

Dieser Bericht ist ein erster größer angelegter Versuch der Internationalen Arbeitsorganisation (International Labour Organisation, ILO), die Erfahrungen von Arbeitskräften und Unternehmen mit digitalen Arbeitsplattformen in mehreren Branchen und Ländern zu erfassen. Er basiert auf Umfragen und Interviews mit 12.000 Arbeitskräften in 100 Ländern und mit 70 Unternehmen unterschiedlicher Art, 16 Plattformunternehmen und 14 Plattform-Arbeitnehmerverbänden in aller Welt.

Ein geografisch ungleichmäßiges Wachstum digitaler Arbeitsplattformen

Global betrachtet haben sich die webbasierten und standortbasierten Online-Plattformen (Taxi und Lieferdienste) in den letzten zehn Jahren verfünffacht. Sie sind in nur wenigen Ländern konzentriert: Vereinigte Staaten von Amerika (29 Prozent), Indien (8 Prozent) und Großbritannien (5 Prozent) und ihr Wachstum stützt sich weitgehend auf die Verfügbarkeit von Risikokapital-Investitionen. Etwa 96 Prozent der weltweiten Investitionen in digitale Arbeitsplattformen konzentrieren sich auf Asien (56 Mrd. US$), Nordamerika (46 Mrd. US$) und Europa (12 Mrd. US$), gegenüber 4 Prozent in Lateinamerika, Afrika und den arabischen Ländern (4 Mrd. US$). Während digitale Arbeitsplattformen im Jahr 2019 weltweit einen Umsatz von mindestens 52 Milliarden US-Dollar erwirtschafteten, konzentrierten sich rund 70 Prozent des Umsatzes auf gerade zwei Länder, die USA (49 Prozent) und China (23 Prozent). In vielen Entwicklungsländern bestehen bereits große Lücken in der Verfügbarkeit digitaler Infrastruktur, wodurch ein Wachstum der digitalen Wirtschaft gebremst wird. Dagegen wird durch ein solch ungleichmässiges Wachstum digitaler Arbeitsplattformen eine digitale Kluft weiter verewigt und das Risiko birgt, die Ungleichheiten gerade zwischen den Ländern zu verschärfen. Die Überwindung dieser Kluft erfordert konzertierte politische Maßnahmen. 

Das Plattform-Geschäftsmodell transformiert die Arbeitswelt

Das Plattform-Geschäftsmodell weist bestimmte Merkmale auf, die die Organisation von Arbeit und Arbeitsprozessen verändern. Digitale Arbeitsplattformen sind IKT-gestützt, datengesteuert und stützen sich auf algorithmische Managementpraktiken für die Zuweisung und Bewertung von Arbeit auf der Grundlage von Metriken und Bewertungen sowie für die Überwachung der Arbeit mithilfe digitaler Tools. Diese Art des Managements ist eine grundlegende Abkehr von den traditionellen Praktiken des Personalmanagements. Darüber hinaus dringen diese algorithmischen Managementpraktiken in traditionelle Arbeitsplätze ein und werden zunehmend übernommen, was Auswirkungen auf die Arbeitswelt hat.

Zweitens verändern sie die Arbeitsorganisation, indem sie die Verantwortung für Investitionen in Kapitalanlagen und Betriebskosten auf die Arbeitskräfte verlagern, wodurch Plattformen vermögensneutral werden. So werden beispielsweise Kapitalanlagen wie Computer auf webbasierten Online-Plattformen oder Fahrzeuge auf standortbasierten Plattformen von den Arbeiter*innen bereitgestellt, die auch die Kosten für Kraftstoff, Wartung, den Erwerb von Lizenzen oder Internetgebühren tragen. Drittens wurde durch sie ein dualer Arbeitsmarkt geschaffen mit einer Kernbelegschaft von Arbeiter*innen, die direkt von der Plattform beschäftigt werden, und einer großen ausgelagerten Belegschaft, deren Arbeit über die Plattform vermittelt wird. Arbeiter*innen der ersten Kategorie stehen in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis, während die Arbeiter*innen der zweiten Kategorie von den Plattformen oft als Selbstständige oder unabhängige Auftragnehmer*innen eingestuft werden und die überwiegende Mehrheit von ihnen kein Beschäftigungsverhältnis hat, sondern oft verschiedene Arten von Gebühren für den Zugang zu Aufgaben zahlen muss. Die Arbeitsbedingungen dieser Arbeitskräfte werden durch die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Plattformen geregelt, in denen der Schutz des Arbeitsplatzes und die Ansprüche festgelegt sind.

Viertens basiert das Einnahmemodell dieser Plattformen auf der Erhebung verschiedener Arten von Gebühren an die Arbeitskräfte oder auf Abonnementplänen für Kund*innen und Arbeitskräfte. Zum Beispiel werden bei einer der großen Freelance-Plattformen etwa 62 Prozent der Einnahmen durch die Erhebung von Gebühren von den Arbeiter*innen generiert, was im Widerspruch zu den internationalen Arbeitsnormen wie dem ILO-Übereinkommen über den Lohnschutz oder dem Übereinkommen über private Arbeitsvermittler steht, das Agenturen, Arbeitgeber*innen und Vermittlern untersagt die Erhebung von Gebühren untersagt.


Protest in der Uber-Zentrale. 20. Januar 2017.
Foto: Phil Dokas

Digitale Arbeitsplattformen haben dabei neue Wege des Outsourcings eröffnet

Verschiedene Arten von Unternehmen, von Start-ups bis hin zu Fortune-500-Unternehmen, bauen vermehrt auf webbasierte Online-Plattformen. So haben sie Zugriff auf einen globalen Pool von Arbeitskräften mit unterschiedlichen Fähigkeiten, reduzieren ihre Kosten und steigern ihre Effizienz, um Rekrutierungsprozesse zu rationalisieren oder um auf Wissen zuzugreifen und Innovationen zu suchen. Diese Plattformen haben auch das Wachstum von Start-ups unterstützt, insbesondere im Bereich der künstlichen Intelligenz, und haben Unternehmen, die Geschäftsprozesse auslagern, dabei geholfen, sich neu zu orientieren und sich so umzustrukturieren, dass sie den Anforderungen der Kund*innen im Zuge des Aufstiegs der digitalen Wirtschaft gerecht werden. Gerade standortbezogene Plattformen haben es Unternehmen in der Gastronomie und im Einzelhandel ermöglicht, ihren Kund*innenstamm zu erweitern. Seit dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie haben viele dieser Unternehmen auf diese Plattformen gesetzt, um ihren Betrieb aufrechtzuerhalten und Kosten zu senken. Allerdings sind die Unternehmen auch mit einigen Herausforderungen und Risiken konfrontiert, vor allem in Bezug auf den Verlust innerbetrieblicher Personalkapazitäten, hohe Provisionsgebühren auf Lieferplattformen, schlechte digitale Infrastruktur sowie Wettbewerbsfragen und ein ungleiches Wettbewerbsumfeld, um nur einige zu nennen.

Digitale Arbeitsplattformen können Einkommensmöglichkeiten bieten, bringen aber auch einige Herausforderungen mit sich

Diese Plattformen haben das Potenzial, Arbeiter*innen Beschäftigung zu bieten, einschließlich Frauen, Menschen mit Behinderungen und Wanderarbeiter*innen. Erhebungen der ILO zeigen, dass die Mehrheit der Plattformarbeiter*innen weniger als 35 Jahre alt und hochgebildet ist, insbesondere in Entwicklungsländern. Allerdings gibt es nach wie vor Lücken in Bezug auf die Beteiligung von Frauen an der Plattformarbeit. Außerdem lässt sich eine geschlechtsspezifische Arbeitsteilung auf freiberuflichen Plattformen beobachten. Zu den Hauptmotiven von Arbeiter*innen, Aufgaben auf digitalen Arbeitsplattformen zu übernehmen, gehören die Möglichkeit, ein bestehendes Einkommen zu ergänzen, die Vorliebe oder Notwendigkeit, von zu Hause aus zu arbeiten oder die Flexibilität des Arbeitsplatzes (höher bei Frauen), und der Mangel an alternativen Beschäftigungsmöglichkeiten (höher bei Taxifahrer*innen und Lieferant*innen).

Plattformarbeit ist die Haupteinnahmequelle für eine Mehrheit der Arbeiter*innen auf ortsbezogenen Plattformen und für etwa ein Drittel der Arbeiter*innen auf webbasierten Online-Plattformen. Allerdings kann der Verdienst der Arbeiter*innen stark variieren. Auf webbasierten Online-Plattformen verdient etwa die Hälfte der Arbeiter*innen weniger als 2,10 US-Dollar pro Stunde. Der Stundenlohn in einer typischen Woche reicht von 3,30 US-Dollar auf Microtasking-Plattformen bis zu 7,60 US-Dollar auf Freelance-Plattformen, wobei Arbeiter*innen in Entwicklungsländern bis zu 60 Prozent weniger verdienen als in Industrieländern. Dabei sind diese Verdienste abhängig vom Zeitaufwand für unbezahlte Aufgaben (z. B. Arbeitssuche oder Aufbau eines Profils), vom Wettbewerb infolge Überangebots an Arbeitskräften, von hohen Provisionen und anderen Gebühren sowie von Zahlungsausfällen aufgrund von Arbeitsabsagen.

Arbeiter*innen im App-basierten Taxi- und Lieferdienstsektor in Entwicklungsländern verdienen tendenziell mehr als in den traditionellen Sektoren. Dies erklärt sich hauptsächlich durch die Prämien und Anreize für die Arbeiter*innen der Plattformen zurückzuführen, die die Preise wettbewerbsfähig halten, was die Nachfrage nach Arbeiter*innen im traditionellen Taxi- und Lieferdienstsektor verringert. Dies führt auch zu längeren Arbeitszeiten für traditionell Beschäftigte, die im Durchschnitt etwa 50 Minuten Wartezeit zwischen den Fahrten haben, auch weil sie oft von App-basierten Taxifahrer*innen verdrängt werden. Ein erheblicher Anteil der traditionellen Fahrer*innen (48 Prozent) berichtete, dass die Anzahl der Fahrten aufgrund der Einführung von App-basierten Taxis zurückgegangen ist.

Die Mehrheit der Arbeiter*innen auf digitalen Arbeitsplattformen ist nicht sozialversichert. Zudem gibt es große Defizite bei der Krankenversicherung und der Absicherung gegen arbeitsbedingte Verletzungen, bei der Arbeitslosen- und Invaliditätsversicherung sowie bei der Alters- oder Ruhestandsversorgung. Da der Zugang zu sozialem Schutz begrenzt ist, sind die Arbeiter*innen mit diversen Risiken in Bezug auf Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz konfrontiert, insbesondere auf ortsgebundenen Plattformen. Die COVID-19-Pandemie hat die Risiken für diese Arbeiter*innen weiter erhöht. Auf standortbasierten Plattformen beispielsweise hatten die Arbeiter*innen mit einem Rückgang von Nachfrage und Verdienst zu kämpfen. Die Mehrheit gab an, keinen bezahlten Krankheitsurlaub oder eine Entschädigung zu erhalten, wenn sie positiv auf das Virus getestet wurden, wodurch sie neben ihrer eigenen Gesundheit auch die Gesundheit anderer riskierten.

Die algorithmischen Managementpraktiken, die von Plattformen angewandt werden, beeinflussen den Zugang von Arbeiter*innen zu Arbeit sowie ihre Autonomie und Freiheit erheblich. Die Bewertungen von Arbeiter*innen sind maßgeblich und entscheidend für Arbeitsaufträge auf allen Arten von Plattformen (berichteten 82 Prozent der Arbeiter*innen). Wenn zum Beispiel die Kundin oder der Kunde die Leistung ablehnt oder eine niedrige Bewertung abgibt, wird dies in den Algorithmen berücksichtigt und kann die Gesamtbewertung der Arbeiter*in beeinflussen.

Wenn zum Beispiel die Kundin oder der Kunde die Leistung ablehnt oder eine niedrige Bewertung abgibt, wird dies in den Algorithmen berücksichtigt und kann die Gesamtbewertung einer Arbeiterin oder eines Arbeiters beeinflussen. Abgelehnte Arbeitsaufträge sind auf webbasierten Online-Plattformen recht häufig: 65 Prozent der Arbeiter*innen berichten, dass ihre Arbeitsangebote zurückgewiesen wurden. Auf Mikrotasking-Plattformen werden die Arbeitsaufträge von den Algorithmen abgelehnt und etwa 85 Prozent der Arbeiter*innen berichteten, dass keine der Ablehnungen gerechtfertigt war. Dies hat erhebliche Auswirkungen auf den Zugang von Arbeiter*innen zu Arbeit.

Bewertungen spielen auch für die Arbeiter*innen auf Taxi- (72 Prozent) und Lieferdienstplattformen (65 Prozent) eine wichtige Rolle beim Zugang zu Arbeit. Manchmal wurden die Bewertungen auf diesen Plattformen von Faktoren beeinflusst, die außerhalb der Kontrolle der Arbeiter*innen lagen, wie z.B. Verzögerungen bei der Annahme einer Essensbestellung in einem Restaurant oder Verkehrsstörungen. Während bessere Bewertungen den Zugang zu Arbeit erleichtern, können niedrigere Bewertungen manchmal dazu führen, dass die Konten der Arbeiter*innen deaktiviert werden oder sie nur einen eingeschränkten Zugang zu Arbeit haben.

Ein weiterer wichtiger Aspekt des Algorithmus-Managements ist, dass es die Arbeiter*innen daran hindert, die Freiheit und Flexibilität in Bezug auf Zeit, Ort und Wahl der Aufgabe, Fahrt oder Bestellung voll zu nutzen, insbesondere auf Taxi- und Lieferplattformen. Etwa die Hälfte der Arbeiter*innen berichtete, dass sie Fahrten oder Bestellungen oft nicht stornieren können, und falls sie es doch tun, mit Konsequenzen rechnen müssen. In der Taxibranche umfassten diese Konsequenzen: niedrigere Bewertungen (29 Prozent), Sperrung ihres Kontos (26 Prozent) und weniger Fahrten (10 Prozent). Zu den weiteren Auswirkungen gehörten Strafen und Bußgelder, längere Wartezeiten und geringere Prämien. Im Lieferdienstbereich drohten den Arbeiter*innen vor allem zwei Konsequenzen, nämlich Strafen und Bußgelder (30 Prozent) und Sperrung ihrer Konten (27 Prozent). Zu den anderen Folgen von Stornierungen gehörten weniger Aufträge, geringere Prämien und niedrigere Bewertungen.

Auch auf diesen Plattformen werden die Arbeitsprozesse regelmässig mit digitalen Werkzeugen und dem Global Positioning System (GPS)überwacht und nachverfolgt, um Arbeitsfortschritte und Bewertungen zu kontrollieren. Auf Freelance-Plattformen gaben etwa 47 Prozent der Arbeiter*innen an, dass ihre Arbeitszeiten von Kund*innen regelmäßig überwacht werden, 46 Prozent wurden aufgefordert, regelmäßig Screenshots der geleisteten Arbeit einzureichen, und 43 Prozent wurden regelmäßig von Kund*innen aufgefordert, zu bestimmten Zeiten verfügbar zu sein. Dies wirft wichtige Fragen bezüglich der Autonomie und Kontrolle auf, die die Arbeiter*innen bezüglich der Erledigung ihrer Arbeiten ausüben, und ob sich dies in ihrem Beschäftigungsverhältnis genau widerspiegelt.

Eine große Sorge der Arbeiter*innen auf Taxi- und Lieferplattformen ist die Deaktivierung ihres Kontos auf der Plattform. Etwa 20 Prozent der Taxifahrer*innen und 15 Prozent der Lieferarbeiter*innen berichteten, dass sich dies stark auf ihren Lebensunterhalt auswirkt. Infolgedessen haben Arbeiter*innen auf digitalen Arbeitsplattformen oft Schwierigkeiten, ausreichend gut bezahlte Arbeit zu finden und ein anständiges Einkommen zu erzielen, was zu Arbeitsarmut führt. Eine beträchtliche Anzahl von Arbeiter*innen berichtete auch, dass sie Diskriminierung oder Belästigung aufgrund ihrer Nationalität und ihres Geschlechts erlebt oder miterlebt haben, verbunden mit dem Ausschluss von Arbeitsmöglichkeiten oder niedriger Bezahlung.

Darüber hinaus werden die Arbeitsbedingungen auf digitalen Arbeitsplattformen weitgehend über Dienstleistungsvereinbarungen geregelt, die von den Plattformen einseitig festgelegt werden. und Auswirkungen auf die Streitbeilegung und Arbeitsbedingungen haben. Gleichzeitig sind die Arbeiter*innen häufig nicht in der Lage, sich an Kollektivverhandlungen zu beteiligen. Dies würde es ihnen ermöglichen, Belange rund um die Arbeitsbedingungen anzusprechen.


War on Want und GMB protestieren am Cyber Monday vor dem Amazon-Hauptquartier
Foto: War on Want

Verschiedene Regulierungsmaßnahmen wurden eingeleitet, um einige der Probleme im Zusammenhang mit den Arbeitsbedingungen auf digitalen Arbeitsplattformen anzugehen

Um den Herausforderungen zu begegnen, die diese neue Art der Arbeit mit sich bringt, haben viele Regierungen Regulierungsinitiativen ergriffen, um Themen wie Beschäftigungsverhältnis, Gesundheits- und Sicherheitsstandards und angemessenen sozialen Schutz anzugehen. Auch private, nichtstaatliche Akteure sowie Arbeitgeber*innen- und Arbeitnehmer*innenorganisationen haben einige Initiativen angestossen. Allerdings haben Unterschiede zwischen den Regelungen zu weiteren Herausforderungen geführt. Die Sache ist noch komplexer, weil viele digitale Arbeitsplattformen über mehrere Grenzen und Rechtsgebiete hinweg operieren. Das Ergebnis ist eine regulatorische Unsicherheit für Arbeiter*innen, Unternehmen und Regierungen.

Es besteht ein Bedarf an internationalem politischem Dialog und Koordination, um Rechtssicherheit und die Anwendbarkeit internationaler Arbeitsnormen zu gewähren

Der Weg in die Zukunft wäre ein Prozess des globalen sozialen Dialogs, der darauf abzielt, dass die Chancen, die sich aus digitalen Arbeitsplattformen ergeben, genutzt und die Herausforderungen angegangen werden. Dadurch könnten digitale Arbeitsplattformen bestmöglich in die Lage versetzt werden, menschenwürdige Arbeitsmöglichkeiten zu bieten, das Wachstum nachhaltiger Unternehmen zu fördern und zur Erreichung der Ziele für nachhaltige Entwicklung beizutragen. Es ist wichtig, dass die ILO-Grundprinzipien und -Rechte der Arbeit für alle Plattformarbeiter*innen umgesetzt werden, unabhängig von ihrem Status. Darüber hinaus sollten die in anderen ILO-Konventionen verankerten Prinzipien, zum Beispiel in Bezug auf faire Bezahlungssysteme, faire Kündigung und Zugang zur Streitbeilegung, auch auf Plattformarbeiter ausgedehnt werden. Der Bericht enthält diesbezüglich 15 Empfehlungen und fordert einen globalen sozialen Dialog und eine regulatorische Zusammenarbeit zwischen digitalen Arbeitsplattformen, Arbeitnehmern und Regierungen. Mit der Zeit könnte so ein effektiverer und einheitlicherer Ansatz für eine Reihe von Zielen entwickelt werden. Dies erfordert:

  • die Gewährleistung, dass der Beschäftigungsstatus der Arbeiter*innen korrekt eingestuft wird und mit den nationalen Klassifizierungssystemen übereinstimmt;
  • die Gewährleistung angemessener Sozialleistungen für alle Plattformarbeiter*innen, unabhängig von ihrem Beschäftigungsstatus, und zwar durch Erweiterung und Anpassung der politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen, wo dies erforderlich ist;
  • die Gewährleistung fairer Kündigungsverfahren für Plattformarbeiter*innen;
  • darauf hinzuwirken, dass selbständige Plattformarbeiter*innen das Recht auf Tarifverhandlungen haben, zum Beispiel durch eine stärkere Harmonisierung von Wettbewerbsrecht und Arbeitsrecht;
  • Gewährleistung von transparenten und nachvollziehbaren Algorithmen für Arbeiter*innen und Unternehmen.

[1] Cusumano, Michael A., Annabelle Gawer, und David B. Yoffie. 2019. The Business of Platforms: Strategy in the Age of Digital Competition, Innovation, and Power. New York: Harper Collins.

[2] Auf webbasierten online-Plattformen werden Aufgaben oder Arbeiten zugewiesen und online oder in Fernarbeit von Arbeitskräften erledigt. Zu diesen Aufgaben zählen Übersetzungen, Dienstleistungen im Zusammenhang mit Recht, Finanzen und Patenten, Design und Softwareentwicklung auf Freelance- und wettbewerbsbasierten Plattformen; das Lösen komplexer Programmier- oder Datenanalyseproblemen in einem festgelegten Zeitraum auf konkurrenzfähigen Programmierplattformen; oder die Erledigung kurzfristiger Aufgaben wie die Beschreibung von Bildern, das Moderieren von Inhalten oder die Transkription eines Videos auf Microtask-Plattformen.

[3] Die Aufgaben auf ortsbezogenen Plattformen werden persönlich an festgelegten physischen Standorten von Arbeiter*innen ausgeführt. Dazu gehören Taxifahren, Liefer- und Heimwerkerdienste (Klempner oder Elektriker), Hausarbeiten und Pflege.

Uma Rani ist zusammen mit Rishabh Kumar Dhir, Marianne Furrer, Nóra Gőbel und Angeliki Moraiti von der ILO, Sean Cooney (The University of Melbourne) und Alberto Coddou Mc Manus (Universidad Austral de Chile) die Hauptautorin des Berichts.