September 22, 2021

Food Systems Summit – bitte nicht noch mehr runde Tische

Benjamin Luig

In Zeiten der COVID-19 Pandemie braucht es keine vage „Transformations“-Lyrik, sondern konkrete und radikale staatliche Maßnahmen gegen die Ernährungs- und Gesundheitskrise.


Am 23. September wird in New York der Global Food Systems Summit als Teil der UN Generalversammlung stattfinden. Was ist von dem Gipfel zu erwarten? Die Vereinten Nationen verstehen den Summit als ein großes partizipatives Happening, in dem sich alle möglichen Stakeholder-Gruppen, von Kleinbäuer*innen über Konsument*innen bis zu Finanzinvestoren zusammensetzen und über eine grundlegende Transformation von Ernährungssystemen diskutieren. „It is a summit for everyone everywhere – a peoples summit“, heißt es auf der Konferenzwebsite.[1] Klingt schön, ja fast idyllisch, aber was heißt das? Als Ergebnis des Summits werden ein „Call for Action“ und die Entwicklung allgemeiner Prinzipien angekündigt.

Eine grundlegende Transformation wäre dringend überfällig, angesichts von sich zuspitzender Klimakrise und der seit Jahren steigenden Zahl von weltweit hungernden Menschen. Aber kommt sie durch runde Tische zustande? Die weltweiten Lockdowns in Reaktion auf die COVID-19 Pandemie haben die globale Ernährungskrise in vielen Regionen massiv verschärft. Die Regierungen stehen in dieser Situation in der Pflicht zu handeln. Der UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, Michael Fakhri, kritisiert jedoch vehement, dass COVID-19 auf dem Programm des Food Systems Summit praktisch nicht vorkommt.[2]

Summit Logo

Dabei liegt auf der Hand, dass die arbeitenden Klassen im globalen Ernährungssystem durch COVID-19 und durch die Lockdowns besonders betroffen sind. Viele haben dramatische Einkommensverluste hinnehmen müssen. Viele Kleinbäuer*innen und Lohnarbeiter*innen, insbesondere in der Landwirtschaft, aber auch in den nachgelagerten Bereichen gehören zu den Working Poor – sie stehen mit ihrem Einkommen aufgrund von Niedriglöhnen und teilweise in nur saisonaler Beschäftigung ohnehin unter der Armutsgrenze. Im Fall von Lockdowns müssen sie schmerzhafte Einkommensverluste hinnehmen.

Working Poor bedeutet auch: fehlende Sozialversicherung und Krankenversicherung. Viele Kleinbäuer*innen und Beschäftigte im Ernährungssystem die erkranken, stehen zeitweise ganz ohne Einkommen dar. Fehlende Einkommen in Kombination mit steigenden Nahrungsmittelpreisen führen zu einer Abwärtsspirale. Beispiele aus unterschiedlichen Ländern wie China oder Guatemala zeigen, wozu das führt: Mütter, Väter und Kinder schränken ihre tägliche Ernährung immer drastischer ein. Die Vielfalt der Ernährung, die Nährstoffe, die Anzahl der Mahlzeiten sinken, und die Menschen gleiten in den Hunger ab.[3]  

Die Einkommens- und Jobverluste hängen oft damit zusammen, dass Lieferketten unterbrochen werden: In den ersten Monaten nach dem globalen Ausbruch der COVID-19 Pandemie war dies vor allem bei globalen Lieferketten zu beobachten. Beispielsweise brach der Schnittblumenhandel in den Niederlanden zeitweise zusammen, mit drastischen Folgen für zigtausende Arbeiter*innen im Schnittblumenanbau in Ostafrika. Ein anderes Beispiel war die Schließung der Teehandelsaktion in Mombasa, Kenia. In den letzten Monaten ist jedoch deutlicher geworden, dass vor allem eine Vielzahl an Lieferketten auf lokaler und regionaler Ebene zerreißen. Insbesondere durch die Schließung der Gastronomie brachen in vielen Ländern für Bäuer*innen und Händler*innen die Absatzmärkte weg. Die große und global wachsende Gruppe von Saisonarbeiter*innen ist seit letztem Jahr in vielen Regionen zudem von Einschränkungen in der Bewegungsfreiheit betroffen, die Regierungen verhängten. So kamen drei Viertel der Reisproduzenten in Äthiopien in Probleme wegen einem Reiseverbot für die Tagelöhner, die für sie jäten und ernten.[4]

Dort, wo die Produktion und der Verkauf fortgesetzt wurden, sind Beschäftigte im Ernährungssystem hohen Ansteckungsrisiken ausgesetzt. Seien es die Verkäufer*innen, die Beschäftigten in der Lebensmittelverarbeitung oder die Saisonarbeiter*innen am Arbeitsplatz und in ihren Sammelunterkünften. Anders als die Angestellten in den höheren Management-Etagen können sie ihre Lohnarbeit auch in Phasen rasant steigender Infektionszahlen nicht zuhause, zurückgezogen hinter ihren Laptops, fortsetzen. In den Lockdown-Monaten im letzten Jahr machten die großen Supermarkmonopolisten wie Walmart, Shoprite oder Aldi besonders hohe Profite. Die Verkäufer*innen waren zugleich permanent dem Kontakt mit dem Kund*innen ausgesetzt, ohne durch Erschwerniszuschläge für dieses Risiko entschädigt zu werden. Ein besonderes Risiko tragen die Arbeiter*innen in den großen Fleischfabriken. Die anstrengende, eng gestaffelte Akkordarbeit am Band macht es schwer, den ganzen Tag Gesichtsmasken zu tragen und macht viele Fleischfabriken offenbar zu einem Hort des besonderen Übertragungsrisikos. In einer Schlachtfabrik von Tyson in Iowa (USA) war die Zahl der Übertragungen im letzten Jahr so hoch, dass Manager zynische Wetten über die Zahl der Infektionen abschlossen. Insgesamt 1000 Arbeiter*innen infizierten sich, sechs von ihnen starben.[5] 


Juli 2021, Rom, Italien – Vorgipfel des Gipfels der Vereinten Nationen für Ernährungssysteme 2021. FAO-Hauptsitz (Atrium).
Foto: FAO/Carlo Perla. Copyright ©FAO.

Die Regierungen müssen handeln – jetzt!

Was bedeutet all dies für den Food Systems Summit? Die Regierungen stehen in der Pflicht, das Recht auf Gesundheit und das Recht auf Nahrung ihrer Bürger zu schützen und zu gewährleisten. Sie müssen entsprechend handeln und dürfen sich nicht hinter vagen Absichtserklärungen von sogenannten „peoples summits“ und ergebnislosen runden Tischen verstecken. Insbesondere die folgenden fünf Maßnahmen wären notwendig:

  1. Besonders diejenigen Menschen, die täglich einem hohen Ansteckungsrisiko ausgesetzt sind, müssen die Möglichkeit zu Testungen und zu Impfungen erhalten. Was die Vereinten Nationen, was globale Gipfeltreffen jetzt leisten müssen ist, endlich Impfstoffe umzuverteilen und Impfpatente freizugeben. Dies ist aktuell die vordringliche Aufgabe, völlig unabhängig von sektoralen Fragen der Ernährungspolitik. Hier stehen die westlichen Regierungen, insbesondere die USA und Deutschland, in der Verantwortung.
  2. Die zweite globale Antwort auf die COVID-19 Pandemie müsste die Umsetzung des ILO Plans zu einem Global Social Protection Floor sein. Der ILO Vorschlag von 2012 sieht eine universale und schrittweise Ausweitung von sozialer Sicherung für Alle vor. Grundlage dafür wäre die Einrichtung eines Global Social Protection Funds, wie ihn der internationale Gewerkschaftsdachverband ITUC fordert.[6]
  3. Um kleine und mittlere Unternehmen in Zeiten des Lockdowns zu unterstützen, aber auch um Ernährungssysteme nachhaltig umzubauen, braucht es massive öffentliche Unterstützungsprogramme. Dabei sollte durch Beteiligung von Gewerkschaften und deren Verbände sichergestellt werden, dass auch die Beschäftigten von diesen Programmen indirekt profitieren.
  4. Für Beschäftigte in besonderen Risikobranchen sollte es Erschwerniszulagen für das Risiko geben, dem sie sich in Zeiten von COVID-19 aussetzen. Dies wäre die adäquate Antwort auf die Einsicht vieler Regierungen, dass es sich in der Landwirtschaft, in der Nahrungsmittelproduktion und im Verkauf um systemrelevante Branchen handelt.
  5. Infektionssschutz und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz müssen effektiv kontrolliert werden. In vielen Bereichen, insbesondere in der Landwirtschaft, ist die Kontrolldichte durch Inspektionsbehörden weltweit viel zu gering. Staaten müssen in der Lage sein, gesetzliche Arbeitsschutzstandards in der Fläche durchzusetzen und zu kontrollieren. Dafür müssen Kapazitäten und die Zahl der Kontrollen deutlich hochgefahren werden.

[1] Vereinte Nationen (2021): Food Systems Summit – About the Summit, https://www.un.org/en/food-systems-summit/about

[2] Fakhri, Michael (2021): Last chance to make the Food Systems Summit truly a “peoples summit”. Policy Brief, August 2021, https://www.ohchr.org/Documents/Issues/Food/Policy_brief_20210819.pdf

[3] Swinnen, Johan et al. (2021): Beyond the Pandemic – Transforming Food Systems after COVID-19, in: IFPRI: Global Food Policy Report 2021, 12.

[4] Swinnen et al. (2021): 12

[5] BBC (2020): Tyson food managers bet on workers getting Covid-19, lawsuit says, https://www.bbc.com/news/world-us-canada-55009228

[6] ITUC (2020): A global protection fund is possible. ITUC Campaign Brief, https://www.ituc-csi.org/IMG/pdf/ituc_campaign_brief_-_a_global_social_protection_fund_en_v3.pdf