Juni 5, 2021

Klimakonflikte: Krieg oder Frieden mit der globalen Erwärmung?

Jürgen Scheffran

Klimawandel als Sicherheitsrisiko


Die menschgemachte globale Erwärmung ist eine weltweite Herausforderung für die Zukunft der Menschheit. Der fünfte Sachstandsbericht des Weltklimarats IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) von 2013/14 zeigte, dass bei weiter steigenden Emissionen von Treibhausgasen bis Ende dieses Jahrhunderts eine Temperaturzunahme von 5 °C möglich ist, was sich durch eine ambitionierte Klimaschutzpolitik auf unter 2 °C begrenzen ließe. Folgen betreffen das gesamte Klimasystem: Atmosphäre und Ozeane erwärmen sich, Gletscher und Eisschilde schmelzen, der Meeresspiegel steigt, extreme Wetterereignisse nehmen zu. Betroffen sind der Verlust von Arten und Ökosystemdienstleistungen, Wasserressourcen und Ernteerträgen, lebenswichtige Netze und Infrastrukturen, wodurch das Leben von Millionen von Menschen beeinträchtigt wird.

Bei Überschreiten einer kritischen Schwelle besteht die Gefahr von Verstärkereffekten, die das Erdklima destabilisieren. Potentielle Kippelemente sind die Schrumpfung von Gletschern in Grönland und der Westantarktis mit einem Anstieg des Meeresspiegels um mehrere Meter, die Abschwächung des Golfstroms, das Auftauen von Permafrostböden oder die Änderung des asiatischen Monsuns. Solche Phänomene können den Klimawandel beschleunigen und über komplexe Wirkungsketten das Erdsystem in eine „Heißzeit“ katapultieren.  

Der Klimawandel gefährdet weltweit die menschliche Sicherheit, gerade für ärmere Länder und Bevölkerungsschichten, die wenig Mittel haben, um sich zu schützen. Konfliktrelevante Folgen des Klimawandels sind der Mangel an Wasser und Nahrung, Stürme und Überschwemmungen sowie umweltbedingte Migration. Wenn sich durch steigende Lebensmittelpreise oder Wasserknappheit Ernährungsprobleme verschärfen, können soziale Unruhen die Folge sein. Schwere Sturm- und Flutkatastrophen kosten Menschen das Leben oder vertreiben sie in Nachbarregionen. Solche Verstärkereffekte können zur grenzüberschreitenden Ausbreitung von Konflikten führen. Wichtig sind auch die Auswirkungen des Klimawandels auf die Verfügbarkeit und Verteilung von Ressourcen und damit verbundene Ressourcenkonflikte. Hierzu gehören die Degradation von Wäldern und Ackerland, die Erschöpfung von Wasservorräten und Fischbeständen oder die Folgen von Bergbau- und Staudammprojekten. Meist sind solche Konflikte lokal-regional bedeutsam, ohne eine wesentliche Bedrohung für die internationale Sicherheit darzustellen. Die Konfliktfolgen von Klimaänderungen sind oft indirekt, komplex und mit politischen, ökonomischen und sozialen Konfliktfaktoren verbunden, deren Wirkungen verstärkt oder abgeschwächt werden.


Cayes, südliches Haiti, 6. Oktober 2016. Hurrikan Matthew hat Haiti heimgesucht. Unmittelbare Folgen. Rotkreuz-Teams beurteilen die Situation mit Behörden und anderen Organisationen. Schäden an Häusern, Strukturen, überflutete Straßen, Menschen im Freien. Foto: Jethro J. Sérémé/American Red Cross/IFRC

Quantitative Studien zu Klimakonflikten

In der Fachliteratur gibt es widersprüchliche Aussagen über die Verbindung von Klimawandel und Gewaltkonflikten. Unter zahlreichen quantitativ-empirischen Untersuchungen über große historische Zeiträume, geographische Regionen, Gewaltformen und kausale Mechanismen fanden die meisten Studien signifikante, andere nur ambivalente oder keine starken Verknüpfungen. Während für historische Kontexte (etwa für die „kleine Eiszeit“ zwischen dem 15. und 19. Jahrhundert) deutliche Zusammenhänge zwischen Klima und Konflikten beobachtet wurden, sind die Ergebnisse für die jüngere Vergangenheit weniger ausgeprägt. Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs ist der Anstieg der globalen Mitteltemperatur nicht klar mit der Zahl bewaffneter Konflikte korreliert. Diese sind bis zum Ende des Kalten Krieges angestiegen, dann gesunken und seit etwa zehn Jahren wieder angestiegen. Jüngste Zahlen erreichen neue Höchstwerte von rund 50 bewaffneten Konflikten pro Jahr.

Die Differenzen eskalierten, als Wissenschaftler*nnen von Spitzenuniversitäten der USA in einem Artikel im Science–Journal 2013 gesellschaftliche Instabilität und Gewalt in Geschichte und Gegenwart auf Schwankungen von Temperatur und Niederschlag zurückführten. Die Debatte erreichte weltweit die Massenmedien, und der Spiegel sprach von einem „Forscherkrieg um Klimastudie“. Inzwischen gab es Bestrebungen, die Differenzen zu überbrücken. Eine Expertenbefragung in der Fachzeitschrift Nature dokumentierte, dass mit der zukünftigen Erwärmung das Konfliktrisiko deutlich ansteige, aber durch Anpassungsmaßnahmen auch eingedämmt werden könne. Soziale Ungleichheit, Regierungsschwäche und andere sozio-ökonomische Treiber haben oft einen stärkeren Einfluss auf Gewaltkonflikte als der Klimawandel. Viele Arbeiten zeigen, dass Gewaltkonflikte vornehmlich dort durch Klimawandel verstärkt werden, wo große Bevölkerungszunahme, geringer Entwicklungsstand, niedriges Wirtschaftswachstum, mittleres Demokratieniveau, ethno-politische Differenzen sowie politische Instabilität und Gewalt vorkommen. Für extreme Szenarien von „Klimakriegen“ und klimabedingter „Massenflucht“ fehlen bislang hinreichende empirische Grundlagen, wie das Friedensgutachten 2020 hervorhob.

Regionale Brennpunkte und Konfliktkonstellationen

Aktuelle Forschungen verwenden geo-referenzierte Daten, die auch kleinskalige Gewaltereignissen umfassen (z.B. gewaltsame Proteste, Unruhen, Terrorakte). Komplexe Wirkungsketten und kausale Zusammenhänge sind theoretisch noch wenig verstanden, nur schwer nachweisbar und von regionalen Kontexten abhängig. Die Analyse einzelner Fälle kann dazu beitragen, die komplexen Wechselwirkungen und Verstärkungen zwischen Klimawandel, Verwundbarkeit und Gewaltkonflikten in Brennpunkten des Klimawandels (Hot Spots) zu verstehen, in denen auch gesellschaftliche Kipppunkte auftreten können. In Südasien verbinden sich Stürme und Flutkatastrophen mit Ernährungsproblemen und Umweltmigration. In Latein- und Zentralamerika stehen Konflikte um Land und Biodiversität im Vordergrund. In der Sahelzone Afrikas beeinträchtigt die Knappheit an Land und Wasser das Verhältnis zwischen Bäuer*innen und Nomad*innen, das durch mechanisierte Landwirtschaft, Ressourcenausbeutung und Landinvestitionen ohnehin belastet ist. Zunehmend werden Kleinbäuer*innen enteignet und Nomad*innen ihrer traditionellen Wanderrouten beraubt, was Landnutzungskonflikte fördert.

Widersprüchliche Entwicklungen zeigen sich bei der Wasserversorgung in Nahost. Am Nil etwa gibt es Differenzen zwischen Ägypten und den Oberanliegern aufgrund wachsender Wasseransprüche, bedingt durch Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum sowie Staudammprojekte in der Region. Demgegenüber stehen hier und in anderen Regionen Verhandlungen und Abkommen zur gemeinsamen Wassernutzung, die Konflikte eindämmen.


Bosaso, Somalia, October 2015 – A kid looking at the Buulo Mingis Settlement IDP camp. Foto: Marco Gualazzini/contrasto/laif 

Der Zusammenhang zwischen Klimawandel, Migration und Konflikten ist geprägt durch ein komplexes Problemgeflecht aus Marginalisierung und Ausgrenzung, Desintegration und Sezession, Bevölkerungsdruck, Ausbeutung von Land und Wäldern, sinkende Produktivität der Landwirtschaft, Nahrungsmittelunsicherheit und Krankheiten. Während einige Publikationen hunderte Millionen von Umweltflüchtlingen vorhersagten, wiesen andere darauf hin, dass viele Betroffene versuchen sich anzupassen oder nicht die Möglichkeit zu weiten Wanderungen haben. Statt Klimavertriebene und Menschen in Not als Bedrohung anzusehen, gegen die Abwehrmaßnahmen ergriffen werden, geht es darum, sie mit Hilfsmaßnahmen zu unterstützen, ihre Resilienz zu stärken und Ursachen wie den Klimawandel zu vermeiden, die die natürlichen Lebensgrundlagen von Menschen bedrohen. Wenn dies nicht zu verhindern ist, müssen zugewanderte Menschen in die Gesellschaften der Zielländer integriert werden. Durch Migrationsnetzwerke können stabile Strukturen zwischen Herkunfts- und Zielländern geschaffen werden, die zur Problemlösung, Klimaanpassung und gegenseitigen Entwicklung beitragen.

Alles durch Klimawandel zu erklären erlaubt es, die Verantwortung auf ein globales Problem zu schieben und andere Konfliktursachen wie die neoliberale Globalisierung oder systemische Problemlösungen zu vernachlässigen. So lenkte die plausible Darstellung, der Arabische Frühling sei durch Wetterextreme in anderen Teilen der Erde verursacht worden, von den Missständen in der arabischen Welt oder den Schattenseiten globalisierter Nahrungsmittelmärkte ab. Während der Darfurkonflikt ebenso wie der Syrienkonflikt mit Klimawandel als Antriebsfaktor in Verbindung gebracht wurden, bedingt durch Dürren und Desertifikation, ließen sich vorhandene Konflikte, Rivalitäten und Gewaltstrukturen sowie verfehlte Politiken der Regierungen leichter ausblenden. Die Instrumentalisierung des Klimawandels für eigene Interessen gilt auch für geopolitische Auseinandersetzungen zwischen den Großmächten um die Ressourcen des Mittelmeerraums oder der Arktisregion, deren Ausbeutung durch die Erwärmung verstärkt, aber nicht primär verursacht wird.

Auch Industrieländer sind von Klimarisiken betroffen, auch wenn hier die Anpassungsmöglichkeiten höher und die Konfliktpotentiale niedriger sind. Schwerwiegende Folgen hatten Hitzewellen 2003 und 2018, Waldbränden in Australien und den USA 2019, Elbeflut 2002 und 2013 sowie zahlreiche Wirbelstürme. Durch den Wirbelsturm Katrina 2005 an der Golfküste der USA kamen 1800 Menschen ums Leben, hunderttausende verließen fluchtartig die Region, die Behörden verloren die Kontrolle, die Polizei konnte die Ordnung nicht sichern.

Nachhaltiger Frieden statt Bedrohungsabwehr: vom Konflikt zur Kooperation

Die Frage ist, wie auf die Gefahren des Klimawandels reagiert wird. Bei reaktiven Handlungsmustern geht es um die Abwehr von Bedrohungen für die nationale und internationale Sicherheit, was Konflikte und Instabilitäten zur Folge haben kann. 2007, 2011 und 2020 diskutierte der UNO-Sicherheitsrat die Sicherheitsrisiken des Klimawandels, ohne zu einer Einigung zu kommen. Auch andere sicherheitspolitische Akteure befassten sich mit möglichen Sicherheitsrisiken und Destabilisierungspotenzialen des Klimawandels, darunter die NATO, das Pentagon und die Bundeswehr. Während diese Organisationen selbst zu den größten Umweltverschmutzern gehören, bereiten sie sich auf humanitäre Operationen, Katastrophen- und Küstenschutz ebenso vor wie auf Gewaltkonflikte und Fluchtbewegungen. Trotz der Rhetorik von “Klimakriegen“ in Medien, Tagungen oder offiziellen Dokumenten gab es bislang nur wenige konkrete Maßnahmen zur Bewältigung der Sicherheitsrisiken des Klimawandels.

Flucht und Gewalt sind keine notwendigen Reaktionen auf den Klimawandel. Präventive Konzepte zielen darauf, Verwundbarkeiten und Risiken für menschliche Sicherheit zu vermeiden sowie die Anpassungsfähigkeit und Resilienz von Gemeinschaften zu stärken, die von Folgen des Klimawandels besonders betroffen sind. Institutionelle Strukturen setzen auf vorbeugende und kooperative Lösungen, wodurch die Konfliktrisiken des Klimawandels vermieden und ein „Klima des Friedens“ befördert wird. Herausforderungen können Menschen dazu veranlassen, sich anzupassen oder innovative, nachhaltige und kooperative Problemlösungen zu finden, z.B. eine effizientere Ressourcennutzung und verstärkte Zusammenarbeit bei der Bewältigung der Probleme. Bekannte Beispiele sind die Klimarahmen-Konvention von 1992, das Kyoto-Protokoll von 1997 und der Pariser Klimavertrag von 2015. Kooperative Reaktionen auf den Klimawandel können in Zukunft eine größere Rolle spielen, etwa in der Umwelt-Zusammenarbeit oder Vereinbarungen zur gemeinsamen Ressourcennutzung. Hier besteht noch ein Forschungsbedarf zur Verbesserung der Datenbasis und zum theoretischen Verständnis der Zusammenhänge, was in Konzepten des „nachhaltigen Friedens“ oder des „environmental peacebuilding“ zunehmend untersucht wird.

Jürgen Scheffran ist Professor für Geographie an der Universität Hamburg und leitet die Forschungsgruppe Klimawandel und Sicherheit am Centrum für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit (CEN) und im Klima-Exzellenzcluster CLICCS. Nach Studium und Promotion in Physik arbeitete er in interdisziplinären Forschungsgruppen der Umweltwissenschaft und der Friedens- und Konfliktforschung an den Universitäten von Marburg, Darmstadt, Paris und Illinois sowie am Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK).