Mai 16, 2021

Wir schreiben das Jahr 2021. Warum sind Frauen immer noch von Friedensprozessen ausgeschlossen?

Thania Paffenholz

Historisch betrachtet wurden Frauen systematisch von politischer Führung und Friedensprozessen ausgeschlossen. Trotz jahrzehntelanger Politik zu diesem Thema hält dieser Ausschluss an, ebenso wie die Vernachlässigung von Gender-Aspekten in Friedensprozessen. Warum ist das so und was kann getan werden, um das zu ändern?


Zwei Jahrzehnte sind vergangen, seit die Resolution 1325 zu Frauen, Frieden und Sicherheit (WPS) vom UN-Sicherheitsrat verabschiedet wurde. Die Resolution, die die Agenda für Frauen, Frieden und Sicherheit (WPS) formalisierte, erkennt an, dass Frauen für den internationalen Frieden und die Sicherheit wesentlich sind. Sie befasst sich mit den Auswirkungen von Kriegen auf Frauen und betont die Bedeutung ihrer gleichberechtigten Teilnahme und vollen Einbeziehung in Friedensprozesse und politische Entscheidungsfindung.

Zu Beginn des neuen Jahrtausends erkannten die UN-Mitgliedsstaaten dann schließlich die Notwendigkeit an, die Beteiligung von Frauen an Friedensprozessen und politischen Entscheidungen zu stärken, Frauen in die Umsetzung von Friedensabkommen einzubeziehen und den Schutz und die Achtung der Menschenrechte von Frauen und Mädchen sicherzustellen. Was also ist seither geschehen? Kurz gesagt: Der Weg von der Politikentwicklung im Sicherheitsrat bis zur Umsetzung war lang und langsam. In vielen Bereichen spielen Frauen immer noch eine punktuelle und oft symbolische Rolle ohne tatsächliche Einflussmöglichkeiten. Mit anderen Worten: Zwischen dem normativen Fortschritt und den konkreten Ergebnissen für Frauen und Mädchen klaffen nach wie vor große Lücken. Mangelnder politischer Wille, mangelnde Rechenschaftspflichten und Ressourcen sowie institutionelle und einstellungsbezogene Barrieren gehören zu den wesentlichen Ursachen für diese Diskrepanz.

Als Think- und Do-Tank im Bereich Frieden und Sicherheit schlagen wir eine Gesamtanalyse des Systems vor, um zu erklären, warum Frauen im Jahr 2021 immer noch von Friedensprozessen ausgeschlossen werden. Ausgehend von unseren Erfahrungen mit der evidenzbasierten Unterstützungsarbeit in Friedensprozessen argumentieren wir, dass das System kaputt ist und es schlichtweg nicht funktioniert, Frauen in ein kaputtes System zu integrieren.


Frauen versammeln sich in einer „Friedenshütte“, einer Einrichtung, die als Gemeinschaftsgericht dient, in der Frauen anderen Frauen informelle Gerechtigkeit widerfahren lassen. Foto: UN Photo/Andi Gitow

Aus unserer Sicht machen zwei große politische und operative Herausforderungen die sinnvolle Beteiligung und Einflussnahme von Frauen in Friedensprozessen zu in einem der zähesten Arbeitsfelder im Bereich Frauen, Frieden und Sicherheit. Erstens steckt das politische Umfeld, in dem die Partizipation von Frauen in heutigen formalen Friedensprozessen stattfindet, immer noch in einem linear aufeinander aufbauenden Modell von Friedensschaffung und Friedensvermittlung aus den 1990er Jahren fest. Dieses Modell basiert auf der Annahme, dass Friedensprozesse zwei Konfliktparteien, einen Mediator und Phasen von Vorverhandlungen, Verhandlungen, Implementierung umfassen. Ein solcher Ansatz wendet keine „nachhaltige Friedenslinse“ an, mit der Wege zu inklusiven Gesellschaften geschaffen werden können. Die Einbeziehung von Frauen erfolgt dann oft in Form kosmetischer Zusätze zu einem laufenden Ausgrenzungsprozess. Zweitens ist die Inklusion von Frauen oft dadurch gekennzeichnet, dass der Fokus ausschließlich auf der fachlichen Ausbildung liegt, während strategisches und transformatives Empowerment und der Aufbau von Kapazitäten zur Schaffung von Möglichkeiten der Einflussnahme für eine sinnvolle Beteiligung fehlen.

Dies widerspricht sowohl normativen Verpflichtungen zum Recht von Frauen auf Partizipation als auch Fakten, die belegen, dass die Einbeziehung von Frauen notwendig ist, damit Frauen angemessen vertreten werden. Ein weiteres zentrales Hindernis ist, dass die Einbeziehung von Frauen oft als separate frauenspezifische Maßnahme erfolgt, die nicht in die wesentlichen Entscheidungsprozesse integriert ist.

„Die Einbeziehung von Frauen war oftmals dadurch gekennzeichnet, dass separate, frauenspezifische Tracks, beratende Gremien, technische Komitees oder Beratungsgespräche Vorrang vor der direkten Einbeziehung von Frauen am Verhandlungstisch oder in wichtigen Durchführungsgremien hatten.“[1]

Ein Beispiel für diesen gescheiterten Ansatz zur Einbeziehung von Frauen, ist der syrische Friedensprozess. In der gewalttätigen Zeit nach dem Aufstand in Syrien im Jahr 2011 waren die Vereinten Nationen eine zentrale Anlaufstelle für Friedensbemühungen im Land. Der Ansatz der Vereinten Nationen war der traditionelle, lineare Ansatz: Sie konzentrierte sich auf Elite-Friedensgespräche, die von einem Sondergesandten des UN-Generalsekretärs geleitet wurden. Im Bemühen, die Sicht auf diese Gespräche zu öffnen, rief der damalige UN-Sondergesandte für Syrien, Staffan De Mistura, im Jahr 2017 das Women’s Advisory Board (WAB) ins Leben. Das Gremium, das aus zwölf syrischen Frauen quer durch das politische Spektrum bestand, sollte den UN-Gesandten vor allem hinsichtlich seiner Bemühungen um die Aushandlung eines Track-I-Friedensabkommens beraten.


Vier Sprecherinnen der fast 50 Teilnehmerinnen einer zweitägigen Konferenz zur Förderung der Beteiligung syrischer Frauen am politischen Prozess in Syrien, die von UN Women und den Niederlanden gesponsert wurde, präsentieren während einer Pressekonferenz am 13. Januar 2014 in Genf die Ergebniserklärung im Vorfeld der Friedensgespräche „Genf II“. Bild: UN Women

Als die hochrangigen Gespräche jedoch immer weiter verschoben wurden, begannen die Mitglieder des WAB zunehmend um die Welt geflogen zu werden – um an Schulungen und Konferenzen teilzunehmen, anstatt bei den seltenen Gelegenheiten der politischen Verhandlungen dabei zu sein. Die WAB-Mitglieder wurden immer frustrierter, sowohl durch diese Ausgrenzung als auch durch die Kritik, die ihnen entgegenschlug, auch in den sozialen Medien, wo in Frage gestellt wurde, wie repräsentativ die Gruppe tatsächlich sei. Zur gleichen Zeit rückte das WAB zunehmend in den primären Fokus der UN und der Gebergemeinschaft, wenn es darum ging, Frauen im syrischen Friedensprozess zu unterstützen. Der Ansatz des WAB – ein spezieller Raum für Frauen, um gemeinsam Strategien zu entwickeln, um kreative Lösungen über Trennlinien hinweg zu finden – ist grundsätzlich konstruktiv. Die Herausforderung besteht in dem Muster dieses Ansatzes, wonach dies die primäre oder einzige Unterstützung für das Engagement von Frauen in einem Friedensprozess wird. In der Tat, „anstatt als wahrhaft paralleler Lösungsweg angesehen und behandelt zu werden, der Möglichkeiten für den Frieden aufzeigt, wurde das WAB zu einem bloßen ‚Add-on‘ eines ansonsten schlecht funktionierenden Systems.“

Der Druck des WAB, von syrischen Frauen und der internationalen Gemeinschaft haben dazu geführt, dass im syrischen Verfassungskomitee, das im September 2019 seine Arbeit aufgenommen hat und den ins Stocken geratenen Genfer Prozess wiederbeleben soll, 30 % Frauen vertreten sind. Diese Errungenschaft kann jedoch keinen Friedensprozess ersetzen, den es nach wie vor nicht gibt, da er sich weder auf die Gegebenheiten in Syrien noch auf die internationalen Rahmenbedingungen in Bezug auf das Land stützt.

Dies ist nur ein Beispiel von vielen, das zeigt, dass der traditionelle Ansatz, wichtige bewaffnete Akteure an den Verhandlungstisch zu laden und Frauen hinzuzufügen, nicht mehr funktioniert. Offizielle Friedensverhandlungen in Syrien, Jemen, Libyen, Afghanistan, Zypern sind festgefahren oder grundsätzlich gescheitert. Es darf nicht das Ziel sein, mehr Frauen zu einem System hinzuzufügen, das nicht funktioniert. Wir als Gemeinschaft sollten uns stattdessen darauf konzentrieren, den Friedensansatz grundsätzlich zu überdenken, indem wir das gesamte Ökosystem berücksichtigen, in dem sich die jeweiligen Prozesse entwickeln, und anerkennen, dass diese Prozesse nicht mit der Unterzeichnung eines Abkommens enden.

Eine Möglichkeit, den neuen Ansatz anzuwenden, besteht darin, von bisherigen Strategien für eine stärkere Beteiligung von Frauen zu lernen und diese kreativ an andere Kontexte anzupassen. So wird deutlich, welche konkreten Möglichkeiten es gibt, die Beteiligung und den Einfluss von Frauen zu erhöhen. So kann die Beteiligung von Frauen beispielsweise mithilfe einer Gender- oder Inklusionsquote erreicht werden – egal ob in Verhandlungsdelegationen, beratenden Gremien oder Umsetzungsgremien und Verfassungskommissionen. Dies war zum Beispiel im Jemen 2011-2015 der Fall, wo Frauen eine 30-Prozent-Quote in den Verfassungsentwurf einbrachten. Die Beteiligung und der Einfluss von Frauen kann auch durch das Gender-Mainstreaming aller Abschlussdokumente eines Waffenstillstands- oder Friedensabkommens erreicht werden. So geschehen im kolumbianischen Friedensprozess, in dem eine Gender-Kommission sowohl die Dokumente unter Gender-Gesichtspunkten überprüfte, als auch den Stimmen der Frauen Gehör verschaffte. Die Einflussnahme von Frauen auf einen Friedensprozess erfordert vielfältige Strategien, die von diskreter Lobbyarbeit über die Unterbreitung gezielter Vorschläge bis hin zu Massenaktionen oder Kampagnen reichen.

Kurz gesagt, wir müssen damit aufhören, Frauen in kaputte Prozesse einzubinden, und stattdessen einen neuen Ansatz zur Friedensschaffung entwickeln. Dieser Ansatz basiert auf der Überzeugung, dass Friedenskonsolidierung ein fortwährender Prozess ist, an dem sich alle Gesellschaften aktiv beteiligen müssen, damit er erfolgreich ist. Dieser Ansatz beinhaltet auch die Prämisse, dass Friedensbildung als Reaktion auf Gewalt als ein kontinuierlicher Prozess des Aushandelns und Neuverhandelns des sozialen und politischen Gesellschaftsvertrags betrachtet werden muss, mit Wegen zum Frieden, die von Chancen, Rückschlägen, Katalysatoren, Reibung und Widerstand geprägt sind. Indem wir anerkennen, dass die Realität der Friedensschaffung nicht-linear und komplex ist – und dass wir sicherlich nicht einfach Frauen hinzufügen, umrühren und auf das Beste hoffen können – dann machen wir auch schon den ersten Schritt zu einer kritischen Neubetrachtung des eigentlichen Themas „Rolle der Frauen in Friedensprozessen“.


[1] Paffenholz, Thania 2021: Paffenholz, Thania 2021: Perpetual peacebuilding: a new paradigm to move beyond the linearity of liberal peacebuilding. Published May  2021 in Journal of Peacebuilding and Statebuilding.

Thania Paffenholz ist die Geschäftsführerin von Inclusive Peace. Sie hat 30 Jahre Erfahrung als Akademikerin und Beraterin für Politik und Praxis. Sie ist international bekannt für ihre Arbeit zu und in der Unterstützung von Friedens- und politischen Übergangsprozessen weltweit. Ihre Schwerpunkte sind Mediation und Friedensförderung, Prozessdesign, Inklusion und Partizipation sowie die Bedingungen, unter denen Friedensprozesse nachhaltige Ergebnisse hervorbringen.